„Wir hatten nichts, außer unserem Problem und unserer Neugier!“

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Bock auf Frühstück Interview Aufmacher

Design Thinking Ausbildung | Innovationsmethoden

tl;dr Auf unserer Bucket List stand schon lange das Thema „Was ist eigentlich aus unseren früheren Design Thinking Coachees geworden?“, und die damit verbundene Frage, was unser Programm im Rückblick für eigene Innovationsvorhaben gebracht hat (#nachhaltigkeit). Durch Zufall sind wir neulich über einen Artikel aus der Stuttgarter Zeitung gestolpert und dachten beim Blick auf das Aufmacherbild: Den kennen wir doch von irgendwoher.

Philipp Lesicar hat Anfang 2018 unsere Ausbildung zum „Junior Design Thinking Coach“ absolviert. Damals wie heute arbeitet er bei Daimler und beschäftigt sich dort als Projektmanager mit der digitalen Transformation des Konzerns. Im September hat er mit zwei Kolleg*innen nebenbei noch das Lieferdienst-Startup Bock auf Frühstück gegründet. Haben die Design-Thinking-Methoden aus der Coach-Ausbildung dabei geholfen?

Danke, Philipp, dass du dir die Zeit nimmst mit mir zu sprechen. Deine „Design Thinking Coach“-Ausbildung fand ja im Januar 2018 statt und ist daher schon ein bisschen her. Was ist dir denn davon noch hängen geblieben?

Philipp Lesicar: Stimmt, lang ist’s her. Ich hab die Ausbildung damals für Daimler gemacht. Zu der Zeit hatten wir dort einen relativ großen Innovationsbereich, der aber inzwischen aufgelöst und neu strukturiert wurde. Ich habe mich im „Daimler Universum“ schon die ganze Zeit mit Design Thinking, UX und ähnlichen Themen beschäftigt. Und auch wenn ich glaube, dass die Theorie ein bisschen eingerostet ist, so habe ich doch für die Praxis einiges mitgenommen und konnte es nach der Ausbildung auch immer wieder im Konzern als Coach anwenden.

Ok, um konkreter zu werden: Du hast im Oktober 2020 die Idee zu „Bock auf Frühstück“ gehabt. Was konntest du in diesem Zusammenhang aus der Coach-Ausbildung anwenden?

Philipp: Das ist eine schwierige Frage, denn wenn man in diesem Innovations-Umfeld arbeitet, wie ihr bei Dark Horse ja auch, dann ist es ja so, dass man nie nur bei einem Ansatz bleibt, sondern dass sich diese Themen ständig auch im eigenen Denken weiterentwickeln. Bei der Gründung spielten natürlich ein paar Design-Thinking-Elemente eine Rolle, aber auch so etwas wie Lean Startup und Lean Validation. Das ging und geht alles ineinander über, bis hin zur Implementierung, bei der man dann später agil arbeitet.

Was beim Design-Thinking-Thema aber am stärksten von damals hängen geblieben ist: Man versucht immer den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und zu fragen, was möchte er oder sie denn wirklich haben. Und das machen wir bei „Bock auf Frühstück“, indem wir Kunden tatsächlich befragen: In unseren Frühstücksboxen liegen Karten mit QR-Codes, die die Leute einscannen und uns so ganz dezidiertes Feedback geben können. Etwa, was sie sich noch zusätzlich wünschen oder was sie noch nicht so cool fanden.

Dieses Liefergeschäft bei „Bock auf Frühstück“ ist ja nur ein Teil des Ganzen. Neuerdings arbeiten wir mit stationären Bäckereien zusammen, mit denen sind wir auch schon in eine Ideation-Phase gegangen. Wir versuchen die Ergebnisse davon dann mit einem ganz schlanken Ansatz in unserem Angebot unterzubringen.

Es sind nicht unbedingt irgendwelche Methoden, die wir strikt anwenden, sondern eher das Design-Thinking-Mindset als Ganzes. Und das ist es auch, was uns im Startup oder auch bei Daimler am allermeisten geholfen hat.

Philipp Lesicar

Neue Dinge umzusetzen funktioniert im Startup natürlich deutlich schneller und leichter, als bei einem großen Konzern, wo man viele Wände einrennen muss, um Neues zu versuchen.

Die Leute, mit denen du das Startup betreibst, die kennen sich auch mit Design Thinking und Co. aus?

Philipp: Ja, wir Gründer kommen alle aus der gleichen Abteilung bei Daimler. Aber was man nicht vergessen darf: „Bock auf Frühstück“ ist erst einmal nur ein Nebenbeiprojekt. Keiner von uns arbeitet hauptsächlich für das Startup. Aber mal sehen, was die Zukunft bringt.

So sehen die Frühstücksboxen zum Beispiel aus.

Das heißt, du arbeitest Vollzeit für Daimler und betreibst das Startup on top? Oder teilst du deine Arbeitszeit auf: 3 Tage Daimler, 2 Tage „Bock auf Frühstück“?

Philipp: (lacht) Das würde ich gerne perspektivisch machen, aber im Moment ist es so: 5 Tage Daimler und 5 Nächte Startup.

Klingt anstrengend! Aber sag mal, die Idee fürs Startup kam ja originär von dir. So stand das jedenfalls im Zeitungsartikel.

Philipp: Das stimmt. Dieses Anfangsproblem „Ich will nicht zum Bäcker gehen“ entstand tatsächlich morgens im Bett. Ich war dann immer der, der losgezogen ist um Brötchen etc. zu holen, weil man das halt so macht als Mann in der Beziehung. In diesem Zusammenhang finde ich ja eine Sache bei der ganzen Frühstücksthematik sehr interessant, es hat etwas mit Geschlechterrollen zu tun: Männer sind häufig keine großen Frühstücker, aber sie werden von ihren Frauen eher mal dazu angestiftet, sich ein geiles Frühstück zu gönnen.

Oder wenn ich bei uns im „Kessel“ (Anm.: umgangssprachlich für Stuttgart) morgens am Bäcker vorbeilaufe, sehe ich gerade am Wochenende immer lange Warteschlangen, die zu 90 Prozent aus Männern bestehen. Und wenn ich mir dagegen anschaue, wer bei unserem Service bestellt: Dann sind das zu 90 Prozent Frauen!

Diese Beobachtungen gepaart mit meiner eigenen Unlust morgens zum Bäcker zu laufen, waren der Startpunkt für meine Mitgründer und mich. Bevor wir lang darüber diskutiert haben, sind wir lieber schnell raus auf die Straße um herauszufinden, ob das wirklich ein Problem ist, das auch andere Menschen haben.

Und das Rausgehen, quasi die Recherche und Problemanalyse, habt ihr gemacht, bevor ihr überhaupt auch nur eine Minute Arbeit in das Design der Bestellplattform gesteckt habt?

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Philipp: Genau. Wir hatten nichts, außer unserem Problem und unserer Neugier. Also der klassische Design-Thinking-Ansatz. Erst einmal das Problem verstehen und herausfinden, ob es eine Nachfrage von Seiten der Cafés gibt. Wollen die überhaupt Frühstück außer Haus liefern lassen? Dürfen die das? Gibt es irgendwelche rechtlichen Bestimmungen oder Reglementierungen durch Corona, die wir gar nicht im Blick hatten? Wie kann ein gemeinsames Arbeitsmodell aussehen?

Die ersten beiden Cafés waren super offen und gleich mit an Bord. Und inzwischen hat sich das verselbständigt: Wir werden von Cafés angerufen, ob wir sie nicht in unseren Service aufnehmen und mit ihnen zusammenarbeiten wollen.

Alles in allem haben wir uns an das Design-Thinking-Mindset gehalten: Erstmal machen und vom Feedback lernen, und die Lösung dann immer wieder iterieren. So läuft es bis heute.

Philipp Lesicar

Wobei ich es schwierig finde, in diesem Zusammenhang immer nur von Design Thinking zu reden. Ich finde, dass das ein Methodenkoffer sein kann, der sich gut für Konzerne eignet, weil man dort versucht, Innovationen zu strukturieren, und schaut, wie man das am effizientesten macht. Im eigenen Startup dagegen funktioniert das anders, finde ich. Du lernst ganz viel beim Machen – ohne gleich eine Persona zu bauen oder ein Charetting zu machen. Ich glaube, die Zeit für das strikte Befolgen einzelner Methoden ist auch gar nicht da, ehrlich gesagt.

Die „neue Normalität“: Interviews führen per Zoom.

Ich finde, die verschiedenen Methoden beim Design Thinking sind sehr gut, um den Ansatz erst einmal zu lernen und für den Fall der Fälle eine Anleitung an der Hand zu haben, falls ich mal in eine Sackgasse gerate.

Philipp: Genau.

Und wenn es nach dem ersten Aufbau jetzt darum geht, kontinuierlich neue Ideen zu generieren und zu testen, wie geht ihr da vor? Du hast ja vorhin gesagt, dass ihr regelmäßig Feedback eurer Kund*innen bekommt. Was macht ihr sonst noch? Sprecht ihr regelmäßig mit Bäckereien?

Philipp: Also wir haben tatsächlich regelmäßige Termine mit all unseren Partnern, also den Cafés und Bäckereien. Da geht es eher um das Operationelle: Wie können wir den Service noch besser und effizienter gestalten?

Die meisten Cafés, die bei uns mitmachen, sind alle sehr individuell und haben super individuelle Speisen. Jedes Café hat einen eigenen Prozess. Das ist nicht wie beim Pizzalieferdienst, wo jede Pizza dieselben Maße hat. Deshalb geht es bei den Treffen mit unseren Partnern darum, wie unsere eigenen Prozesse mit den individuellen Anforderungen der Cafés besser matchen. Es geht nicht darum, coole neue Ideen zu entwickeln. Dafür ist die Zeit im Moment leider etwas knapp.

Und dann haben wir sehr genau unsere Kanäle im Blick, um mit unseren Kunden und Kundinnen zu kommunizieren. Unser wichtigster Kanal ist Instagram. Dort starten wir regelmäßig Umfragen, um Neues zu lernen, und bekommen sehr spezifisches Feedback. Die meisten unserer Follower sind sehr engagiert und immer bereit unsere Fragen zu beantworten.

Abschließend müssen wir über ein Thema sprechen, dass immer wieder im Zusammenhang mit Liederdiensten auftaucht: Nachhaltigkeit. Das bequeme Nach-Hause-Bestellen verursacht Müll und funktioniert meist nur zu Lasten der Umwelt. Wie löst ihr dieses systemische Problem?

Philipp: Natürlich ist uns Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen wichtig. Gerade jetzt zu Corona-Zeiten kämpfen die meisten Cafés ums Überleben. Sie können nicht normal öffnen, Umsätze brechen ein usw. Und wenn wir jetzt mit „Bock auf Frühstück“ ein Ökosystem aufbauen – wir arbeiten ja auch mit Kaffeeröstern und einem Hersteller für Öko-Säfte zusammen –, dann wollen wir, dass alle, die daran teilnehmen, nachhaltig davon profitieren können.

Außerdem legen wir Wert darauf, dass die Cafés und Bäckereien mit regionalen Rohstoffen arbeiten. Das ist Teil unseres Konzepts. Und wir schauen besonders auf ökologische Nachhaltigkeit. Wir versuchen CO2-neutral ausliefern und haben dafür ein Hybridauto in unserer Flotte und diskutieren immer wieder, wie wir eine größere Flotte an E-Autos betreiben könnten.

Von unseren Partnern verlangen wir, dass sie ihre Speisen in plastikfreien Verpackungen bereitstellen. Und diejenigen, die dann sagen „Oh, ohne Plastik wird das aber teuer!“, denen sagen wir dann: Gut, dann passt es halt nicht zwischen uns. Auch das ist vereinzelt schon passiert.

Das sind im Wesentlichen unsere Hebel. Ich gebe dir aber recht, dass Nachhaltigkeit ein schwieriges Thema für Lieferdienste ist. Es wäre natürlich für die Zukunft interessant, eigene Boxen aus umweltfreundlichen Materialien hier in der Region herstellen zu lassen. Aber das ist ein Vorhaben für später.

Philipp, danke für deine Zeit. Alles Gute für dich und euch!

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