Vom Wilden Westen bis New Pay: Die Historie der Dark Horse Gehälter (2)

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Anmerkung: Der folgende Artikel ist die Fortführung unsere dreiteiligen Gehaltshistorie bei Dark Horse. Teil 1 findet ihr hier verlinkt.
Ach ja, dieses Mal haben wir alles selbst geschrieben und uns nicht mehr an „Thank God it’s Monday“ bedient
#originalcontent.

2017: Die große Lohn-Langeweile?

Dann kam 2017. Und die nächste große Veränderung unseres Gehaltssystems: Die ersten Angestellten kamen. Dieses scheinbar unwesentliche Detail brachte einen Rattenschwanz an Veränderungen mit sich. Aus rechtlichen Gründen hielten wir es für sicherer, uns Gründer*innen dann auch gleich mit anzustellen. Damit wurde die Struktur einer GmbH & Co. KG wiederum obsolet. Also alles zurück auf Los. In unserem Fall: zurück zur GmbH. 

Wir waren ab sofort also alle angestellt. Dieser Gedanke war für uns gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Abhängig Beschäftigte waren wir jetzt – in unseren kühnsten Albträumen hätten wir das nicht gedacht. Fängt jetzt unser 9-to-5-Arbeitsleben an? Setzt die große Langeweile bei Dark Horse ein, so mit Bleistifte spitzen und in Sessel pupsen? 

Wie passen diese Rollen eigentlich zusammen, wenn man sie in Personalunion ausführt: Unternehmer*in, Projektmanager*in, Fachexperte*in? Wie sehr geht man noch ins unternehmerische Risiko, wenn monatlich die Lohntüte winkt?

Um der großen Langeweile etwas entgegen zu setzen, bauten wir unsere Gehaltsstruktur mal wieder um, diesmal in zwei große Bausteine:

Baustein #1 war das Grundgehalt. Dieser Baustein bringt die Sicherheit ins Unternehmer*innen-Dasein und soll Lebenskosten decken. So viel wie nötig, so wenig wie nötig. Die sinnbildliche Lohntüte winkte also mit Existenz-Sicherheit, verhieß aber keine bequeme Komfortzone mit Massagestuhl.

Baustein #2 war eine Gewinnbeteiligung am gesamten Unternehmensgewinn – und zwar für alle Angestellten. Dieser Baustein war aus mehreren Gründen für uns elementar wichtig:

  • Radikales Nutzer*innen-Feedback: Wie in der Innovationsentwicklung glauben wir bei der Organisationsentwicklung an Nutzer*innenzentrierung. Die Nutzer*innen unserer Organisation sind – neben uns selbst – natürlich unsere Kund*innen. Und wie in der Innovationsentwicklung ist ein guter Gradmesser für den Wert unser Arbeit die entsprechende Zahlungsbereitschaft unserer Kund*innen.
    Eine Gewinnbeteiligung schließt also genau diese Feedbackschleife im Gehaltssystem: Nicht wir bestimmen am Ende des Tages unser Gehalt, unsere Kund*innen tun es.
  • Kollektiv statt individuell: Wenn also unsere Kund*innen unser Gehalt bestimmen – basierend auf dem Wert unserer Arbeit – wie verteilen wir dann den Wert unter uns?
    An dieser Stelle führen wir die Fußball-Metapher ein: Wenn ein Fußballteam die Meisterschaft gewinnt, wer hatte dann den größten Anteil an diesem Erfolg? Die überragende Torhüterin? Der effiziente Sturm? Oder doch die sichere Abwehrbank hinten? Entgegen der Logik im Profifußball lautet unsere Antwort: das Team, nicht eine einzelne Person!

    Eine*r für alle, alle für Eine*n. Von der Buchhaltung über das Office Management bis zu den Dark Horses vor Ort – es braucht sie alle für den Meistertitel. Also sollen auch alle am Erfolg beteiligt werden. Das bedeutet für uns im Umkehrschluss auch, dass wir nicht an individuelle finanzielle Boni glauben. Wie übrigens die Wissenschaft auch: 
Dan Pink • TEDGlobal 2009
  • Keine Gehaltsverhandlung: Der charmante Nebeneffekt von kollektiver Erfolgsbeteiligung ist, dass es – wait for it! – keine individuelle Gehaltsverhandlungen mehr gibt. Ein weiterer kleiner Schritt hin zu dezentralen Machtstrukturen und ein weiteres Mal am Stuhl des „Monopols namens Chef*in“ gesägt.
    Keine individuellen Gehaltsverhandlungen haben übrigens auch den Vorteil, dass keine ungerechte Gehaltsstrukturen auf Basis von „biases“ entstehen: Verhandelt der Kollege besser als die Kollegin? Wen findet die Chefin am sympathischsten? Wer kann am aggressivsten in Verhandlungen auftreten? All solche (sehr menschlichen) Unterscheidungen führen zu systematischen Ungerechtigkeiten, wenn sie Gehaltsverhandlungen beeinflussen.
  • Fair statt Markt: Der schwierigste aller Punkte aber ist die Frage, was sich für uns fair anfühlt. Spoiler: Die objekte Fairness gibt es nicht, so viel haben wir im letzten Jahrzehnt schon mal gelernt. Subjektive Fairness lässt sich aber gestalten – denn oft wird ein Ergebnis schon als fair(er) empfunden, wenn man Teil des Prozesses sein kann, anstatt nur das Ergebnis verkündet zu bekommen. Das steht ja auch haargenau so in Nadine Nobiles Grundlagen-Artikel über New Pay an anderer Stelle in unserem Blog.

    Bei Dark Horse kamen wir jedenfalls zum Schluss, dass „marktübliche Gehälter“ für uns kein (subjektiver) Gradmesser für faire Gehälter sind. Warum soll es fair sein, wenn aktuell Programmier*innen marktüblich deutlich mehr verdienen als – sagen wir mal – Pflegekräfte?
    Das mag nun utopistisch klingen und tatsächlich ist die Ambivalenz nicht immer einfach auszuhalten, das interne Fairness-Gefühl gegenüber dem Marktvergleich hochzuhalten (speziell wenn man das Glück hat, sich auf der gutverdienenden Marktseite wiederzufinden). Und dennoch glauben wir, dass es Gegenentwürfe braucht zu der marktüblichen Verteilung, in der ein Prozent der Menschheit 46 Prozent des Vermögens besitzt.

2018: Minimalziele statt Profitmaximierung

Im darauffolgenden Jahr wagten wir dann die nächsten Experimente, um unser Gehaltssystem weiter auszubalancieren: Wir unterschieden in Indoor- und Outdoor-Tätigkeiten (direkter oder indirekter Kund*innenkontakt) und ließen die jeweiligen Mitarbeitenden miteinander die nächste Runde unseres Gehaltsmodell aushandeln.

Das Problem lag nämlich auf der Indoor-Seite: Aufgrund von historisch übernommenen Einzelvergütungen gab es noch keine einheitliche Gehaltsstruktur im Indoor-Bereich, wohl aber im Outdoor-Bereich. 

Das Prinzip „Gleiche Arbeit, gleiches Gehalt“ ist im Indoor-Kreis umso schwieriger umsetzbar, denn die Tätigkeit in der Buchhaltung und die Arbeit im Office Management sind noch schwieriger vergleichbar als im Outdoor-Bereich, in dem es im Grunde immer um Beratung in der Innovations- und Organisationsentwicklung geht.

Umso erstaunlicher das Ergebnis: Das Indoor-Team einigte sich auf ein einheitliches Gehalt unabhängig von der Tätigkeit, auch wenn das zu finanziellen Abstrichen bei einzelnen Teammitgliedern führte. War das nun gelebte Fairness abseits des Marktes oder Konfliktvermeidungs-Strategie? Wir tippen mal auf Ersteres, ganz sicher werden wir es aber wohl nie wissen. 

In dem Zuge kam ein neuer Evergreen zu unseren Gehaltsdiskussion dazu: Wer ist hier eigentlich Unternehmer*in? Will das jede*r, darf das jede*r? Die Frage ist für uns alles andere als trivial! Seit jeher begreifen wir uns als Kommerzkommune, als Co-Unternehmer*innen.

Gemeinsam unternehmerisch mutig sein bedeutet, dass wir eine Fail-Versicherung für 90 Prozent der Ideen, die typischerweise scheitern, haben. Und profitieren gemeinsam von der einen Idee, die dann wirklich zündet! Schon wieder ein Gegenmodell, diesmal zur Start-up-Kultur.

Nur kann unternehmerischer Erfolg auch schnell zum Fluch werden. Wenn etwa Städte wachsen, wächst auch proportional das kreative Potential (was man etwa an der Anzahl jährlich angemeldeter Patente ablesen kann). Wenn allerdings Unternehmen wachsen, wird das kreative Potential kleiner!

Der Grund dafür ist simpel: Während Städte die Vorteile von Netzwerken und Serendipity-Effekten ausnutzen, machen Unternehmen das Gegenteil. Sie nutzen Bürokratie, um Effizienzgewinne zu erzielen. Das kreative Potential bleibt dabei auf der Strecke.

Zurück zu uns. Wie können wir mehr wie eine Stadt und weniger wie ein Unternehmen wachsen? Die Frage begleitet uns bis heute… Genauso wie die Suche nach perfekten Antworten. Bleibt wohl auch so…

Unsere Antwort lautete damals: Wir wollen maximale kreative Freiheit bei minimaler finanzieller Sicherheit. Unser Werkzeug, um das zu erreichen, waren die „Minimalziele“. Wir setzten uns also finanziell keine klassischen Umsatzziele (jedes Jahr müssen wir um X Prozent mehr Umsätze erwirtschaften), wir betrachteten finanzielle Ziele eher als Hygienefaktor.

Hatte man sie mal erreicht, konnte man sich voll auf das kreative Potential konzentrieren. Die Stadt im Unternehmen also – ähnlich zu der 20-Prozent-Regelung bei Google, nur mit dynamischer Prozent-Regelung. Und für alle Co-Unternehmer*innen, nicht nur für die Entwickler*innen.

2019: Quo vadis, Verantwortung und Loyalität?

Man ahnt es, wieder ein Jahr später gab es die nächste Strukturanpassung unseres Gehaltmodells. Fokuspunkt war vor allem die Rolle der Co-Unternehmer*innenschaft. Also folgten die nächsten Experimente:

  • Auf den Schultern von Riesen und Riesinnen: (Co-)Unternehmer*innenschaft bedeutet ja im Kern, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, die sich womöglich erst Jahre später auszahlen. Gehalt wird aber monatlich, Boni teilweise jährlich ausgeschüttet. Wie bringt man das zusammen?
    Zunächst einmal mit der einfachen Erkenntnis: Wir arbeiten auf den Schultern von Ries*innen. Damit meinen wir alle Co-Unternehmer*innen der letzten 13 Jahre. Ihre Entscheidungen, ihre Arbeit, ihr Engagement bringt uns überhaupt erst in die Lage, so zu wirtschaften und so zu arbeiten, wie wir es aktuell können.
    Ohne Gefährt*innen ist kein Glück erfreulich“ steht auf unserer Homepage. Und unsere Gefährt*innen der Vergangenheit haben maßgeblich unser jetziges Glück geprägt. So einfach ist das!
    Deswegen haben wir einen einfachen Baustein in unsere Gehaltsformel eingebaut: Wieviel Riese oder Riesin steckt in jedem bzw. jeder von uns? Wir nennen es Loyalitätsbonus (unglückliche Wortfindung), und verteilen Teile des Erfolgs nur über diesen Schlüssel.

    Warum bezeichnen wir den Loyalitätsbonus rückblickend als schlechte Bezeichnung für eine gute Sache? Nun, er errechnet sich an tatsächlich bei Dark Horse verbrachter Zeit und gilt daher auch für Nicht-Gründer*innen, die über die Jahre zu uns gestoßen sind und Dark Horse bis heute weiterentwickeln. Und er gilt nicht für Gründer*innen, die inzwischen ausgestiegen sind. Er gilt in Teilen für Gründer*innen, die eine zeitlang gepilgert sind.
    Bevor jetzt weitere Verständnisfragen an uns gemailt werden: Der Loyalitätsbonus ist der kleinste Baustein unseres iterierten Gehaltsmodells.
  • Erfahrung vs. Verantwortung: Der nächste Gehalts-Evergreen. Wie soll Erfahrung im Gehalt berücksichtigt werden? Der „Markt“ bietet uns hier eine Fülle an Möglichkeiten, Erfahrung am Berufstitel abzulesen: Junior, Senior, Fellow, Partner, Chief of Sowieso, Head of, Head of Head, Superbrain, etc. Aber ist so eine Einteilung fair?
    Vor allem, wer verteilt diese Titel in einer dezentralen Organisation? Und über welche Erfahrung sprechen wir hier eigentlich? Zählt nur hartes BWL-Wissen oder sind so „weiche“ Erfahrungen wie emotionale Intelligenz oder Geisteswissenschaften auch was wert?

    Als interdisziplinäre Truppe mit Hang zur psychologischen Sicherheit gab es deswegen die radikale Antwort: Erfahrung ist im Zweifel gleich viel nützlich, erzeugt aber je nach Kundschaft unterschiedlichen Wert. Davon profitieren am Ende wieder alle durch die kollektive Erfolgsbeteiligung. Erfahrung kommt in unserem Gehaltsmodell also nicht vor. Verantwortung allerdings schon. 2019 hatten wir das rudimentär mit Projektverantwortung ausprobiert, weitere Unterscheidungen sollten folgen.

2020-2022: Die Pandemie-Jahre

Dann schlug die Pandemie zu. Wir hatten, wie wohl viele, besseres zu tun, als mit unserem Gehaltsmodell zu experimentieren. Als überzeugte Präsenzler*innen mussten wir uns erstmal mit der digitalen Kollaborationswelt zurechtfinden – und sind jetzt überzeugte Hybridler*innen (ein paar von uns arbeiten nur noch von zu Hause aus, ein paar fast nur im Office und der Rest mal so mal so).

Unser Gehaltsmodell musste also ohne Updates mit der Herausforderung der ersten Pandemie-Jahre klar kommen. Man könnte sage: Es gab Licht und Schatten.

Durch unsere starke Kopplung an den unternehmerischen Erfolg kamen wir ziemlich gut durch die Pandemie. Im Nachhinein betrachtet führte der Bonus-Anteil zu einem sehr resilienten System, das sich der wirtschaftlichen Lage gut anpassen konnte. Leidtragende waren natürlich wir alle, die aus unternehmerischer Vorsicht zum Grundgehalt zurückgekehrt sind.

Wir hatten zwar keine Arbeitsplatz-Ängste, allerdings sorgte das Niveau der „Grundsicherung“ nicht unbedingt dafür, dass sich alle fair bezahlt fühlten. Im Gegenteil. Für das ein oder andere Dark Horse mag das sicherlich ein zusätzlicher Grund gewesen sein, hinaus in die Welt zu pilgern und neue Erfahrungen in anderen Organisationen oder als Freelancer*in zu sammeln. Das fanden wir natürlich schade, aber auch absolut verständlich.

Als Reaktion auf diese monetären Fliehkräfte haben wir uns in den vergangenen Monaten noch stärker mit der Frage beschäftigt, warum und wozu wir eigentlich arbeiten? Unsere interne Transformation, die schon 2019 begonnen hatte, nahm ordentlich Fahrt auf. Updates am Gehaltsmodell wurden jedoch erst einmal pausiert – bis 2022.

Der zweite Teil unserer Gehalts-Historie endet im Jahr 2022. Zum Zeitpunkt dieser Aufzeichnungen basteln wir an der nächsten Gehalts-Iteration. Wie diese aussehen wird und unsere Gedanken für die Zukunft, das erzählen wir euch im abschließenden 3. Teil dieser Serie.

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