Wie tot ist Design Thinking? Die Zukunft des Double Diamond.

Totgesagte leben länger. Das trifft wohl insbesondere auf Design Thinking und eines seiner populärsten Frameworks zu: den Double Diamond.

Pünktlich zu Ostern wagen wir eine Gegenthese: Design Thinking bleibt nach wie vor relevant, beziehungsweise wird wieder auferstehen. Nur eben in anderen Form.

Wie tot ist Design Thinking wirklich?

Zurück zu den Totgesagten: Der Abgesang auf Design Thinking erinnert an ein wiederkehrendes Ritual, alljährlich grüßt das Murmeltier. Einer der bekannteren Abgesänge kommt von Natasha Jan aus dem Jahre 2018, z.B. in diesem sehenswerten Vortrag mit dem Titel: „Design Thinking is Bullsh*t“.

In jüngster Vergangenheit bekam der Abgesang neues Feuer, als IDEO 2023 ein Drittel seiner Belegschaft gehen ließ. Ausgerechnet IDEO, die zusammen mit der d.school Stanford die Design Thinking Ära wie keine andere Organisation verkörpert hat.

Auch das Design Council (welches das Konzept des Double Diamond populär gemacht hatte) hat 2023 ein neues Framework vorgestellt: das Systemic Design Framework. Und sagt selbst: der Double Diamond ist „no longer fit for purpose“.

Nur: Totgesagte leben länger!

Das klingt nicht so rosig für die Zukunft von Design Thinking. Trotz all der Unkenrufe zeigt ein Blick auf Google Trends ein völlig anderes Bild: die Nachfrage nach Design Thinking ist ungebrochen.

Unser Artikel zu drei berühmten Beispielen von Design Thinking gehört nach wie vor zu den meistgelesenen – und das seit Jahren. Und selbst beim Suchbegriff „Double Diamond“ sieht man keine negativen Tendenzen.

Die School of Design Thinking in Potsdam hat 2022 ihre Studie „Design Thinking: a Global Study on Implementation Practices in Organizations“ herausgebracht, um die jüngsten Entwicklungen zu untersuchen. Eines ihrer Fazite:

Design Thinking is increasingly gaining acceptance in organizations and becoming more established.

So einfach scheint der Abgesang auf das Totgesagte also doch nicht zu sein. Oder wie oder was? Lasst uns also tiefer graben und überlegen, wie die Zukunft von Design Thinking aussehen könnte:

Was wäre, wenn wir (mal wieder) eine Evolution des Design Thinkings – eine Art Häutung (um mal eine Metapher aus dem Tierreich zu bemühen) – erleben?

Eher: Evolution von Design Thinking

Wir unterteilen bei Dark Horse „Design Thinking“ in zwei Ebenen:

  1. den Methodenbaukasten „Design Thinking“ mit all seinen Tools und Vorgehensweisen sowie
  2. das Mindset des „Design Thinking“.

Diese Unterscheidung hilft hoffentlich, die Evolution des Design Thinking etwas besser zu sortieren:

1. Die Evolution der Methodik Design Thinking

Die Methodik war und ist nie als Standard-Blaupause gedacht gewesen und ist dementsprechend oft auf individuelle organisatorische Kontexte angepasst worden. Unser Mitgründer Dominik hat sich mal die Mühe gemacht, einige Adaptionen des Double Diamonds von berühmten Organisationen wie Airbnb, Spotify, Figma, Zalando etc. zusammenzutragen und zu vergleichen.

Die visuellen Varianten verdeutlichen eine Evolution der Methodik, die zwei große Kritikpunkte des ursprünglichen Double Diamonds aufgreifen und sich zudem neuen technischen Möglichkeiten anpasst:

  1. Implementierung: ein Teil der Kritik an Design Thinking war der fehlende Fokus auf Implementierung und Umsetzung der entwickelten Konzepte. Schließlich endet die typische Design Thinking Prozessgrafik mit der Phase „Test“. Ist der Test erfolgreich, was dann? Die Prozessgrafiken der Unternehmen von oben zeigen, dass hier eine deutliche Evolution zu sehen ist.
  2. Iteration: die ersten Prozessgrafiken der d.school in Stanford bestanden aus Hexagonen. Von Iterationen und Feedbackschleifen keine Spur (die auf der Mindset-Ebene aber sehr wohl betont wurden). Hier zeigt sich vor allem der Kontext der Prozessgrafiken: in der Lehre von Design Thinking ist ein linearer Prozess didaktisch durchaus hilfreich. In der Praxis ist von Linearität kaum noch etwas übrig, hier sind Iterationsschleifen prägend. Aus diesem Grund war die Prozessgrafik der d.school in Potsdam dann eine Mischung aus linearer Prozessgrafik mit angedeuteten Iterationsschleifen.
  3. Generative AI: Durch ChatGPT & Co. entstehen neue Tools, die zunächst einmal nicht zwingend den Prozess verändern, sondern ihn als Toolset ergänzen, schneller und effizienter machen. Gleichzeitig entstehen wiederum Evolutionen des Prozesses, die den Stärken generativer AI (z.B. schnellere Informationsverarbeitung) angepasst werden. Board of Innovation hat dazu jüngst einen neuen Prozess veröffentlicht, den Stingray-Prozess. Der Fokus hier liegt auf einer (teil-)automatisierten Durchführung unzähliger Experimente und Tests, um so deutlich schneller erfolgreiche Konzepte zu entwickeln und zu implementieren (deswegen das lange Ende rechts auf der Grafik).
Der Stingray Prozess von Board of Innovation (https://www.boardofinnovation.com/blog/the-ai-powered-stingray-model-innovation)

2. Die Evolution des Mindsets Design Thinking

Die Haltung, das Mindset des Design Thinking erfährt dagegen eine deutlich stärkere Evolution. Vor 20 Jahren galt die „Nutzerzentrierung“ als übergeordnetes Design-Prinzip in einer Welt, in der Relevanz das immer knappere Gut wurde (Stichwort „Information Overload“). Gerade in dieser Haltung sehen wir eine deutliche Erweiterung dieser Idee.

Nach wie vor ist Nutzer*innenzentrierung wichtig: Produkte und Services ohne Nutzer*innen haben schlicht keinen Impact. Allerdings verschiebt sich zunehmend die Priorisierung, weg von Nutzer*innenzentrierung hin zu anderen Zielgrößen:

  1. Planet-Centered Design / Eco-Design Thinking: das knappe Gut ist nicht mehr (nur) die Relevanz in der uns umgebenen Informationsflut, es ist vor allem die Nutzung von Ressourcen in einer Welt, die weit außerhalb der planetaren Grenzen Ressourcen verbraucht. Nutzer*innenzentrierung wird zum Hygienefaktor, die planetaren Grenzen werden zur Zielgröße, deren Einhaltung angestrebt werden muss. Dafür braucht es nicht nur neue Tools, Prozesse (wie z.B. in unserem Design for Sustainability Kurs zusammengetragen), sondern auch ein neues regeneratives Mindset, nicht nur in der Produktentwicklung, sondern vor allem auch im Führungsstil.
  2. Systemic Design: in dieser Perspektive geht es um die Gestaltung von Systemen wie z.B. Produkt-Systemen, Organisationen, aber auch Communities und Industrie-Cluster. In Systemic Design ist Nutzer*innenzentrierung ebenfalls (nur) ein Hygienefaktor, als Zielgröße fungiert hier die Gesundheit des Gesamtsystems, also aller Stakeholder. Die Fokussierung auf einzelne Stakeholder als „Nutzer*innenzentrierung“ wird abgelöst durch die gleichzeitige Fokussierung auf (idealerweise) alle Stakeholder. Das bedarf ganz anderer Methoden und – wie überraschend – eines neuen Mindsets.
  3. Policy Design: zunehmend beobachten wir, dass Design Thinking, also auch der Double Diamond, Einzug in die Verwaltung und „Politik“ erhält. Auch hier ist eine Nutzer*innenzentrierung im engeren Sinne gar nicht möglich bzw. erlaubt, da die Verwaltung natürlich alle „Zielgruppen“ im Blick haben muss. Eine Zentrierung auf einzelne Bevölkerungsgruppen wäre schlicht Benachteiligung für alle anderen. Ein interessanter und herausfordernder Trade-Off. Das trifft auch auf dem Prinzip der Iteration zu: grundsätzlich herrscht in der Verwaltung eine langsamere Veränderungsgeschwindigkeit (und das ist gut so, siehe Pace Layering aus unserem Adaptive Strategie Kurs). Und trotzdem ist es wichtig, Freiräume für iteratives Arbeiten zu ermöglichen, um mit komplexen Probleme umgehen zu können.

Während also eins der Haltungsprinzipien von Design Thinking – Nutzer*innenzentrierung – abgelöst wird durch Planet- und System-Zentrierung, bleiben interessanterweise die anderen Prinzipien aktueller denn je: Kollaboration und Iteration. Was uns direkt zu unserem Fazit bringt.

Fazit: aktueller denn je – systemischer denn je

Liebes Orakel, wie sieht denn nun die Zukunft von Design Thinking aus?

In einer Welt, die dynamischer, komplexer und vielfältiger denn je ist, in der planetare Grenzen der größte „Design-Constraint“ ist, als ihn sich Design Thinker je hätten ausdenken können, sind neue Tools, Methoden, Mindsets gefragt.

Jones und van Patter haben genau diese Dynamik kategorisiert und in Phasen unterteilt. Mit dieser Ordnung verabschieden wir uns aus der Design 2.0 Welt und brechen auf in die nächsten Entwicklungsstufen der Design 3.0 Welt, vielleicht sogar Design 4.0 Welt.

Eigene Darstellung, inspiriert von System Mapping Academy und Systemic Design Spezialisten Jones und van Patter

Wenig überraschend: Design Thinking als Methodik wird eben deswegen weiterentwickelt. Tot ist dabei der alte Methodenbaukasten, sehr lebendig sind seine Iterationen und Erweiterungen.

Das liegt vor allem daran, weil die Design Thinking Haltung aktueller, lebendiger denn je ist: in komplexen, unsicheren Umwelten können wir nur iterativ erfolgreich sein, können wir nur kollaborativ Systeme gestalten. Genau die Prinzipien also, mit denen Design Thinking groß geworden ist. Ob und wie neue Tools wie GenAI uns dabei helfen können, bleibt die spannende Frage und macht uns neugierig und zuversichtlich auf die Zukünfte, die da kommen mögen.

Allein die Nutzer*innenzentrierung steht vor ihrer Ablösung: nicht totgesagt, lediglich degradiert zum Hygienefaktor. Wer allerdings auf Hygienefaktoren verzichtet, verzichtet auch auf eins: Erfolg.

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