Und um welchen Job geht es hier eigentlich?
User Research | Qualitative Interview-Methode
tl;dr Der Harvard-Professor Clayton M. Christensen hat zahlreiche Ansätze und Methoden rund um Strategie und Innovation entworfen, die sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreuen. Dazu gehört auch Jobs to be done. Die Methode ist en vogue. Sie fokussiert im Rahmen der Produkt- und Service-Entwicklung auf die Nutzer und ihre Bedürfnisse. Was verbirgt sich hinter der Methode aber genau?
Dieser Artikel ist ursprünglich am 1.10.2020 in der Zeitschrift changement erschienen (S. 10 ff)
Eingeführt und bekannt wurde „Jobs to be done“ (J2BD) vor allem durch den viel zu früh verstorbenen Clayton M. Christensen. Der Harvard-Professor hat unter anderem Bücher zu Innovation und Innovationsmethoden geschrieben – und J2BD ist eine davon.
Viel geklickt ist das YouTube-Video, indem er einfach und konkret anhand eines Milchshakes erläutert, wie sein Vorgehen funktioniert und Wettbewerbsvorteile verschafft:
Der Denkansatz von Christensen wurde von Anthony W. Ulwick um ein weitreichendes Framework ergänzt. Der Gründer und Chef des Beratungsunternehmens Strategyn verspricht eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit bezüglich des Einsatzes des Frameworks.
In der „Szene“ wird heiß diskutiert, ob es sich tatsächlich um eine Weiterentwicklung handelt, denn Ulwick und Christensen haben unterschiedliche Auslegungen von J2BD.
Was will die Methode J2BD erreichen?
„Jobs to be done“ soll aufdecken, warum Nutzer und Nutzerinnen bestimmte Entscheidungen für ein Produkt getroffen haben. Wir betrachten die Umstände der Entscheidung und fragen uns, welchen „Job“ das Produkt erfüllen soll. Daher auch der Name des Frameworks.
In herkömmlichen Umfragen werden Nutzer oft gefragt, warum sie dieses oder jenes Produkt gekauft haben. Diese Frage führt nicht selten zu sehr allgemeinen Antworten, die uns kaum Inspiration in Bezug auf eine Weiterentwicklung liefern. J2BD hilft uns, geschickter vorzugehen.
Sobald wir den „Job“ des Produkts erkannt haben, können wir leichter feststellen, wer unsere eigentlichen Mitbewerber sowie was mögliche Substitute sind und wie eine neue Idee für unser Nutzerbedürfnis aussehen könnte. Der Clou ist hier also, ein Produkt als eine Dienstleistung zu betrachten.
Die semantische Trennung, die durch die Formulierung „Jobs“ entsteht, ermöglicht es uns, zwischen Anforderungen und Bedürfnissen zu unterscheiden. Anforderungen hat man an eine bestehende Lösung, zum Beispiel hinsichtlich der Ergonomie, Benutzbarkeit oder des Aussehens.
„Der Clou ist, ein Produkt als eine Dienstleistung zu betrachten.“
Die Bedürfnis-Ebene sagt uns etwas über die Gründe, weshalb der Nutzer oder die Nutzerin überhaupt ein Produkt in diesem Kontext verwendet. Über die Formulierung „Jobs“ kommen wir näher an die Bedürfnisse und damit das Wertversprechen heran, das das Produkt für den Nutzer erfüllt.
Der Nutzer kann uns über die Formulierung des „Jobs“ ziemlich gut Auskunft über die Problemstellung geben, die ein Produkt bzw. eine Dienstleistung für ihn oder sie löst. Wir abstrahieren somit das beobachtete Nutzerverhalten, und erlangen ein tieferes Verständnis für die entsprechenden Bedürfnisse. Die Abstraktion und das tiefere Verständnis nutzen wir, um eine bessere Lösung für die Erfüllung der Bedürfnisse zu gestalten.
Die Anwendung in der Praxis
Steht die Nutzergruppe fest und welches Produkt verbessert werden soll, dann kann man die Rahmenbedingungen für die Analyse definieren. Generell gilt: Je näher man an der Situation ist, in der der Nutzer das Produkt verwendet oder eben auch nicht verwendet, desto besser.
Außerdem sollte man immer auch die extremen Enden der Nutzer-Glockenkurve anschauen – Fans und Gegner des Produkts –, um so später noch schärfere Unterschiede erkennen zu können. J2BD ist eine qualitative Interview-Methode. Es sollten also neben der Fragen nach den „Jobs“ des Produkts auch weitere Fragen gestellt werden, die bezüglich des Kontextes, der Lebensumstände und der Aktivitäten des Nutzers interessant sind. Dies hilft bei der späteren Interpretation der Antworten.
In der Regel reichen bei solchen J2BD-Nutzerbefragungen, je nach Zusammensetzung des Nutzer-Spektrums, 10-50 Interviews. Schließlich soll nach qualitativen, nicht nach quantitativen Merkmalen gesucht werden. Im Rahmen der Auswertung der Daten sollten diese an einem Ort visualisiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Hierfür empfiehlt es sich, die Informationsbausteine zu verschriftlichen (entweder am digitalen oder analogen Whiteboard).
Anschließend werden sie sortiert und es wird nach Mustern in den Daten gesucht. Was sind die „Jobs“, die die Nutzer uns gesagt haben? Welche „Jobs“ haben Priorität? Hier kann die Weiterentwicklung von Anthony W. Ulwick helfen, der zwischen funktionalen, emotionalen und sozialen „Jobs“ unterscheidet. Diese Kategorien helfen uns, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Am Ende unserer „Job“-Analyse sollte eine Frage klar auf den Punkt gebracht werden können
Wie können wir für Nutzergruppe X folgenden „Job“ besser erfüllen?
Können wir die Frage formulieren und den „Job“ genau benennen, ist es oft gar nicht mehr schwer kreativ zu werden und Verbesserungsmöglichkeiten zu entdecken. Die Bedürfnis-Ebene sagt uns etwas über die Gründe, weshalb der Nutzer oder die Nutzerin überhaupt ein Produkt in diesem Kontext verwendet.
Die Herausforderungen in der Praxis
J2BD soll auf zwei Ebenen helfen:
- Zum einen bei der Kommunikation mit den Nutzern: Eine einfache Formulierung, die uns direkt hilft, das Wesentliche zu erfassen.
- Zum anderen bei der Analyse des Gehörten. Einen Nutzer in Deutschland nach dem „Job“ zu befragen, den ein Produkt für ihn erfüllt, stiftet leider manchmal mehr Verwirrung als das es hilft. Für englische Muttersprachler ist das leichter verständlich.
Die zweite Schwierigkeit in der Praxis ist, dass die meisten Produkte ein Bündel aus verschiedenen, unterschiedlich relevanten Bedürfnissen erfüllen. Diese liegen in der Regel auf verschiedenen Ebenen. Hierum dreht sich auch das methodische Gezerre zwischen den Interpretationen von Clayton M.Christensen und Anthony W. Ulwick.
Christensen gibt diesbezüglich eigentlich keine klare Auskunft, sondern nutzt die Formulierung über „Jobs“, um die diversen Bedürfnisse der Nutzer zu erforschen. Es bleibt den Lesern also selbst überlassen zu interpretieren, was die relevanten Bedürfnisse sind.
Ulwick gibt hingegen einen klaren Plan vor, der sich hauptsächlich auf die Aktivitäten der Nutzer fokussiert. Die Gefahr bei diesem Vorgehen ist aber, dass man in der Methode gefangen bleibt und nur niedrigschwellige Bedürfnisse entdeckt. Das bedeutet, es könnte sein, dass jemand die Methode korrekt anwendet, aber am Ende doch ohne ein gutes Ergebnis dasteht.
Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass J2BD sich nur als Methode eignet, wenn neue Gestaltungsoptionen für ein vorhandenes Wertversprechen gesucht werden. Über die Methode erfahren wir die Quintessenz des bisherigen Wertversprechens. Was wir damit nicht erreichen können, ist ein völlig neues Wertversprechen für unsere Nutzergruppe zu finden.