Innovationsberatung | Innovationsmethoden
tl;dr Mehr als fünf Jahre ist es jetzt her, da stolperte ich über einen Artikel in „FastCompany“: Der Chef solle statt Chef, der Designer-in-Chief sein, hieß es da. Aha, dachte ich, jetzt hatten die innovativen Unternehmen endlich eine Sache gelernt: Gestaltung, Management und Entrepreneurship sind völlig verschiedene Dinge, die sehr unterschiedliche Denkweisen und Menschen benötigen.
Disclaimer: Diese Artikelserie ist in Co-Autorenschaft mit Dr. Niklas Keller von „Simply Rational – Das Entscheidungsinstitut“ entstanden. Unser gemeinsames Angebot findet ihr hier: https://www.darkhorseacademy.de/kurse/gutes-entscheiden-lernen
Jetzt, fünf Jahre später, steht die Welt insgesamt vor einer Herausforderung, die deutlich größer ist als alle Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Das soziale Leben kommt größtenteils zum Erliegen und das Durchhalten bis zur „alten Normalität“ wird zum persönlichen Abnutzungskampf. Doch gerade jetzt wäre ein guter Moment, die Zukunft zu gestalten. Vorwärts immer, rückwärts nimmer quasi. Und Zukunftsgestaltung ist kein Managementjob!
Wie ich auf diese steile These komme? Sie basiert auf einem Gedankenmodell*1, das mir immer wieder hilft zu verstehen, was an den Spitzen von großen Organisationen los ist (und vermutlich auch in der Politik und Gesellschaft). Zentral für dieses Modell sind drei (ein bisschen) polemische Gegenüberstellungen: Exploration vs. Exploitation, Risiko vs. Unsicherheit, und Managertum vs. Unternehmertum.
*1 Achtung: Modelle vereinfachen die Wirklichkeit. Aber sie helfen Zusammenhänge zu erkennen, um Entscheidungen und Handlungen daraus ableiten zu können.
1. Exploration vs. Exploitation
Das wohl bekannteste Rahmenmodell im Bereich Organisations-Theorie lautet die organisationale Ambidextrie (Beidhändigkeit). Seit den siebziger Jahren beschreibt sie die notwendige Fähigkeit eines Unternehmens auf der einen Seite immer effizienter zu werden und auf der anderen Seite trotzdem neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle an den Markt zu bringen.
Ganz praktisch: der KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) macht uns besser in dem, was wir schon tun (aka. Exploitation) und das unternehmensweite Innovations-Accelerator-Programm soll helfen, neue Potentiale aufzudecken und zu entfalten (aka. Exploration). Letzteres ist das Business von Dark Horse.
Seit 2009 als Agentur für Innovation führen wir Innovations-Sprints, Innovationskräfte-Projekte und Workshops für und mit Unternehmen durch, auf der Suche nach neuen Ideen, Geschäftsfeldern und Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle. Schnell haben wir gelernt, dass das simple „Die da machen das Alte besser!“ vs. „Wir machen hier Innovation!“ im Exploration-Exploitation-Modell ziemlicher Quatsch ist.
Innovation lebt von dem Austausch von Ideen und Perspektiven zwischen dem Altem und Neuen. Innovation ist das Überbrücken von Widersprüchen. Das geht nur gemeinsam! Seitdem haben wir unser Geschäftsmodell erweitert.
Unser Fokus liegt heute darin, Menschen zur Kollaboration in Projekten zu befähigen, Unternehmen zu transformieren und Strukturen aufzubauen, die die Beidhändigkeit des Unternehmens fördern. Und seitdem reden wir natürlich wieder oft über dieses Modell, das ja richtig ist, aber trotzdem an der Wirklichkeit vorbei geht!
„Um unersetzbar zu sein, muss man stets anders sein.“
Coco Chanel
2) Risiko vs. Unsicherheit
Unsere Freund*innen, die Entscheidungsforscher*innen von Simply Rational – Das Entscheidungsinstitut, unterteilen die Welt in Risiko-Umwelten und Unsicherheits-Umwelten. In einer Risiko-Umwelt befinden wir uns, wenn wir alle Alternativen, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten und die Konsequenzen unserer Handlungen präzise bestimmen können.
Also etwa im Casino oder bei Sportwetten. Auch Versicherungen arbeiten in diesem Kontext. Wir können uns die historischen Daten ansehen, herausarbeiten, was wann wie schiefging, und für alle Fälle jeweils die Kosten und Eintrittswahrscheinlichkeiten berechnen.
Auf der anderen Seite steht die Unsicherheits-Umwelt: Diese liegt dann vor, wenn wir eben nicht wissen, was in Zukunft geschehen kann oder wenn wir die Wahrscheinlichkeiten der zukünftigen Ereignisse nicht hinreichend gut berechnen können. Das heißt, wir haben keine Möglichkeit das Risiko zu kennen oder zu berechnen!
Das klingt logisch, oder? Übertragen auf den Kontext eines Unternehmens heißt das, dass wir uns bei der kontinuierlichen Verbesserung (Exploitation) häufig im Risiko-Bereich befinden, denn Maßnahmen zur Optimierung basieren auf handfesten Daten. Befinden wir uns dagegen in der Exploration, wird das mit dem Optimieren schon schwieriger. Exploration bedeutet ja eben, dass ich Neues suche, also keine historischen Daten haben kann. Hier ist die Perspektive bestimmend.
Aus der Sicht eines individuellen Projekts befinden wir uns in einer Umwelt der Unsicherheit. Wir schaffen Wissen, wir schaffen Neues. Wir nutzen Methoden und Vorgehensweisen, die uns helfen, durch diese Unsicherheit zu navigieren (z.B. Design Thinking, Lean Start-up, agile Prozesse, hypothesengetriebenes Denken und Testen generell).
Aus der Perspektive des Unternehmens gilt dies nur eingeschränkt. Für große Unternehmen mit einer Vielzahl von Innovationsprojekten oder Start-Up-Inkubatoren ist jedes einzelne Projekt nur eine Small Bet: eine kleine Wette, die die investierten Ressourcen begrenzt und den Totalverlust (und damit das Risiko) kalkulierbar macht.
Spannend für uns ist, wie unterschiedlich in diesen beiden Umwelten Entscheidungen getroffen werden können und müssen. Deshalb haben wir gemeinsam mit Simply Rational Formate dazu entwickelt: https://www.darkhorseacademy.de/kurse/gutes-entscheiden-lernen
„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“
Henry Ford
3) Managertum vs. Unternehmertum*2
An Schnittstellen, an denen in Unternehmen Innovationen entstehen sollen, prallen immer wieder zwei Mindsets aufeinander, die immer wieder die gleichen Konflikte miteinander austragen. Manager*innen müssen versuchen, die Ressourcen des Unternehmens so zu nutzen, dass das Optimum aus der „Ambidextrie“ erreicht werden kann: Gutes Geld verdienen mit dem aktuellen Geschäft und im Jetzt optimieren, ohne die Zukunft zu vernachlässigen – aber vor allem nicht einfach alle Ressourcen für eine unsichere Zukunft zu verballern.
*2 Hier sprechen wir von den Akteurs-Rollen, die in den Unternehmen eingenommen werden müssen – nicht von der Jobbeschreibung! No hard feelings, liebe Manager*innen, wir wissen, dass ihr auch als Unternehmer*innen agieren müsst. Kern des Artikels ist es ja eben, zu beschreiben, in welchem Kontext man, wie agieren muss.
Die Jobbeschreibung „Manager*in“ enthält also immer die Akteurs-Rollen „Manager*in“ und „Unternehmer*in“. Letztere ist natürlich auch nicht gleichbedeutend mit der Jobbeschreibung „Unternehmer*in“, die erstmal nur eine Eigentumsbeziehung beschreibt, und nicht so sehr das Vorgehen und die Handlungsweise.
4) Der Kern des Problems
Kommen wir zum Kern des Problems: Die Entscheider*innen in (meist größeren) Unternehmen sind oft hervorragende Manager*innen. Sie wägen Interessen gegeneinander ab, treffen Risiko-Einschätzungen und fällen gut begründete Entscheidungen. Je besser sie dabei sind, desto eher steigen sie in der Hierarchie auf und werden mit immer wichtigeren strategischen Entscheidungen beauftragt.
Gutes Management macht Risiko handhabbar und beherrschbar. Und irgendwann muss dann auch über Innovationsprojekte entschieden werden. Projekte, die, wie im 2. Punkt erläutert, unter Unsicherheit funktionieren.
Was jetzt typischerweise passiert, ist folgendes: Diese Manager*innen (oder Komitees) verzetteln sich im Methodischen (was nicht nur ihnen passiert). Und der Fokus auf Methoden erzeugt eine Schein-Sicherheit, die man plötzlich bewerten kann.
Die Frage „Hat das Team denn eine User Journey gemacht?“ wird zu einem Kriterium für eine Investitionsentscheidung – anstatt die Qualität der Arbeit zu bewerten. Oder es wird nach eindeutigen Kriterien gesucht, um zu entscheiden, ob ein Projekt agil oder klassisch gesteuert werden sollte.
Anders machen es die Profis im Zukunftsgeschäft, die Startup-Investoren: Sie machen ihren Entscheidungen weniger vom Projekt und mehr vom Team abhängig, gerade in der frühen Phase (das ist jetzt mal aus didaktischen Gründen zugespitzt). Denn Investoren wissen, dass sich Ideen zur Gestaltung der Zukunft noch rasant während der Umsetzung ändern.
Daher sind für Investoren die Fähigkeit des Teams, auf Veränderungen und Anpassungen zu reagieren, wichtiger. Die Unsicherheit ist inhärent.
Eine Entscheidung, etwas für die Zukunft zu entwickeln, lässt sich also nicht mit Hilfe von Management-Methoden fällen. Für solche Entscheidungen in Unternehmen braucht es Unternehmer*innen, die die Unsicherheit in die Hand nehmen und Lösungen gestalten.
5) Conclusio zum Entscheiden unter Unsicherheit
Der Kontext der Entscheidung bestimmt darüber, welche Entscheidungskompetenz benötigt wird. Möchte ein Unternehmen (oder eine Organisation) innovativ sein, ist das eine strategische Entscheidung, die dazu führt, dass ich mich als Unternehmen manchmal in einer Risiko-Umwelt und manchmal in einer Unsicherheits-Umwelt wiederfinde. Um in letzterer bestehen zu können, braucht es mutige Entscheider, die befähigt sind, unter Unsicherheit gute Entscheidungen treffen zu können.
Und was wir auch nicht vergessen sollten: Noch nie hat irgendjemand irgendwas Gutes allein geschafft (eine steile These zum Schluss)! Wir funktionieren am besten, wenn wir gemeinsam füreinander arbeiten. Kollaboration ist der Grund für unseren Wohlstand.
Organisationen sind die Manifestationen von Kollaborationen. Deshalb benötigen wir gleichermaßen Unternehmertum, um kollaborativ Unsicherheiten zu überwinden, und Management, um die Ergebnisse dieser Kollaborationen operativ umzusetzen – und die damit verbundenen Risiken zu managen.
„Reduziere Unsicherheit soweit es geht, manage den Rest“
Gerd Gigerenzer
Teil 2: Erfolgreiche Unternehmen suchen Unsicherheit!
In Teil 2 wird es stärker im Detail um die Frage gehen: Wie beeinflusst die Unterscheidung von „Risiko“ und „Unsicherheit“ unsere Perspektive auf die Gestaltung von Organisationen? Hier geht es zum Artikel!
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