Nachhaltigkeits-Strategie: Mehr als nur Bäume pflanzen?

Nachhaltigkeitsstrategie - mehr als nur Bäume pflanzen

tldr: Nachhaltigkeit und Strategie – die Kreuzung zweier Buzzword-Bingo-Hitlister verheißt erst einmal: viel heiße Luft. Dabei kann Nachhaltigkeitsstrategie auch konkret, pragmatisch und gestaltbar sein. Mit Hilfe des Strategie-Hexagon sezieren wir den Begriff und stellen sechs strategische Hebel vor, die weit mehr Potenzial als „Bäume pflanzen“ bieten.

Bäume pflanzen – meine erste Assoziation mit dieser Marketingtechnik ist Krombachers sehr erfolgreiche „Rette einen Quadratmeter Regenwald mit jeder Kiste“-Aktion aus dem Jahre 2008. Engagement gegen die Klimakatastrophe durch Konsumentscheidungen – das war und ist das Motto dieser populären Nachhaltigkeitsstrategie. Sogar Günther Jauch war vorne mit dabei.

Quelle: Horizont

Heutzutage rettet man nicht mehr nur den Regenwald, sondern lebt gleich „klimaneutral“ bei der Wahl bestimmter Produkte. Same same, not different.

Die große Kritik an solchen „Nachhaltigkeitsstrategien“ ist: Sie verändern nicht das Geschäftsmodell selbst (also Bier verkaufen und um die Welt schiffen), welches immer noch die planetaren Grenzen missachtet (zu viele Emissionen und geringe Artenvielfalt durch Hopfen-Monokulturen, etc.). Sie „reparieren“ lediglich den Schaden durch einen Ausgleich irgendwo anders auf der Welt – meistens auch noch unzureichend. Das ist zwar immer noch besser als nichts (und sollte nicht immer gleich als „Greenwashing“ gebasht werden), ausreichend ist es natürlich noch lange nicht. Vor allem deshalb nicht, weil wir in gleichen Denkmustern verharren, die das Problem erst erzeugt haben.

Die Bedeutung von Nachhaltigkeitsstrategie

70% der globalen Emissionen werden durch Produkte verursacht, heißt es im Circularity Gap Report. Produkte, die viele viele Organisationen da draußen erdacht, vermarktet, in die Welt gebracht haben. Umso wichtiger wäre es, wenn Nachhaltigkeitsbemühungen eben dieser Organisationen nicht nur reparieren, sondern den Kern des Geschäftsmodells verändern. Ihre Strategie also.

Das Problem mit Strategie – insbesondere Nachhaltigkeitsstrategie – ist nur:

Strategie ist wie ein Fabelwesen – jeder kennt’s, keiner hat’s gesehen.

Anonymes Dark Horse

Vorteile nachhaltiger Geschäftsmodelle

Insbesondere beim Thema Nachhaltigkeitsstrategie wird oft das Narrativ bedient, dass nachhaltigkeitsorientierte Bemühungen ja nur „Icing on the cake“ sind, also noch mehr kosten und damit immer unrentabler als konventionelle Geschäftsmodelle sind. Eine solches Narrativ ist nicht nur sehr kurzsichtig, sondern auch gefährlich.

Denn im Gegenteil bieten Nachhaltigkeitsstrategien einige Chancen, noch mehr Wert zu stiften. In dieser Studie von CircleUp beispielsweise hatten nachhaltigkeitsorientiere Geschäftsmodelle die größten Wachstumsraten ihrer Branche.

Source: CircleUp Helio & NielsenIQ

Für alle Stakeholder*innen inkl. dem Planeten! Catherine Cote fasst 8 Vorteile nachhaltiger Geschäftsmodelle zusammen:

  1. Es fördert interne Innovationen
  2. Besseres ESG-Risikomanagement
  3. Höhere Loyalität bei Mitarbeitenden
  4. Höhere Markenloyalität und Reichweite
  5. Geringere Produktionskosten
  6. Positive Außenwahrnehmung
  7. Neue Alleinstellungsmerkmale
  8. Industrie-Standards setzen

Was genau ist eine Nachhaltigkeitsstrategie?

So weit, so vielversprechend. Was genau ist aber eine Nachhaltigkeitsstrategie? Und was ist Teil einer solcher Strategie?

Um diese Fragen zu beantworten, nutzen wir das Dark Horse Strategie-Hexagon. Das Hexagon beschreibt in sechs Feldern alle Elemente einer Strategie – pragmatisch und auf einen Blick. Wir nennen diese Felder Zweck, Spielfeld, Wertversprechen, Kompetenzen, Strukturen und Kultur. Eine genaue Beschreibung der einzelnen Felder und des Hexagons findet man hier.

Wir nutzen diese sechs Felder, um genauer aufzuzeigen, dass Nachhaltigkeitsstrategie weit mehr Hebel anbietet als das „obligatorische Bäume pflanzen“.

Hebel 1: Kultur

Vorsicht, erster Stolperstein: Wir fangen nicht wie sonst beim Zweck an (also ganz oben im Hexagon), sondern für Nachhaltigkeitsstrategie beim Feld Kultur. Warum?

Strategie ohne Kultur ist wie Frühstück ohne Frühstücksei (oder Marmelade, wer es tierfrei mag).

Im Bereich Nachhaltigkeit gilt das ganz besonders: Ohne das passende Mindset wird jede Nachhaltigkeitsstrategie nur am Rande der Komfortzone kratzen (also Reparierens des verursachten „Schadens“). Wie unser lieber Kollege Torben hier beschrieben hat, liegt das Problem vieler Geschäftsmodelle allerdings nicht am Modell selbst, sondern an den Erfinder*innen. „Der Fehler sitzt vor dem Bildschirm“.

Unsere Denkfehler in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften – insbesondere reduktionistisches Denken als Mittel gegen komplexe Herausforderungen – führen zu degenerativen Geschäftspraktiken. Wenn wir uns diese Denkfehler nicht bewusst machen, werden wir wohl immer in die gleichen Denk-Fettnäpfchen treten. Beispiele? Gut gemeinte Fahrrad-Sharing Angebote produzieren riesige Müllhalden aus kaputten Fahrrädern. Gut gemeinte CO2-Kompensation führt zu riesigen Betrugsfällen.

Weil es so schön passt, hier auch noch gleich einen Klassiker von Einstein zitiert, der es schon viel früher wusste:

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Albert Einstein

Frei nach David Orr hat jede Kultur eine Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert und leitet daraus ihre Gestaltungsprinzipien ab. Hier entsteht der Reduktionismus, der unsere aktuellen Probleme mit erzeugt.

Es braucht also ein erweitertes Mindset, eine neue Subkultur für Nachhaltigkeit im Unternehmen (Subkultur deswegen, weil es vermessen wäre, von der einen Kultur in Organisationen zu sprechen – es gibt vielmehr eine Vielzahl an gelebten Kulturen).

Hebel dafür sind:

  • Zirkuläres Denken statt linearem Denken kultivieren: Es liegt wohl in unserer Natur, dass Menschen gerne linear denken. Was in vielen Situationen hilfreich ist, macht uns das Lösen der Klimakatatastrophe besonders schwer. Dabei können wir zirkuläres Denken ziemlich gut trainieren, z.B. in fachfremden Bereichen: Permakultur oder Gärtnern ist eine perfekte Lernumgebung für zirkuläres Denken (Anmerkung der Redaktion: Wir sprechen aus Erfahrung).

    Unser Körper selbst wäre noch so ein Beispiel, wo zirkuläre und systemische Zusammenhänge natürlicherweise vorkommen (Anmerkung der Redaktion: Wir sprechen aus Erfahrung, man nenne nur die Darmflora als Rabbit Hole, wie im Trailer weiter unten). Lebensmittelverschwendung ist ein weiteres Beispiel, in dem zirkuläres Denken zu ganz neuen Ideen führen kann (z.B. hier bei Root Radicals oder hier für ganze Kommunen).
  • Diskussionskultur: Organisationen haben oft eine sehr spezifische Art, Entscheidungen zu treffen. Je weniger unterschiedlichliche Perspektiven in die Entscheidung einbezogen werden (können), umso gefährlicher sind solche Entscheidungen in unsicheren Umfeldern – also auch im Bereich Nachhaltigkeit. Assertive Inquiry ist z.B. eine Dialog- und Diskussionskultur, um verschiedene Aspekte eines Problems zu beleuchten, bevor man zu Entscheidungen kommt. Diese kulturelle Fähigkeit ist für die Nachhaltigkeitsstrategie unglaublich wichtig, da wir uns hier mit hochkomplexen Sachverhalten auseinander setzen müssen. Diese Form der Dialogkultur sollte aus unserer Sicht von allen Stakeholdern gelebt werden (nicht nur von internen, sondern auch von externen Stakeholdern).
  • Fight reductionism: Wir sind wohl alle nicht gefeit vor diesem Bias und trotzdem können wir sicher stellen, dass wir diesen Bias möglichst gut aus Entscheidungen heraushalten. Wir können z.B. unsere subjektive Wahrnehmung nutzen, um auf Systemeffekte zu achten (z.B. durch Systemic Design Methoden). Wir können auch die Rolle des „Devils Advocates“ in Entscheidungsrunden formalisieren, um genaue solche ungewollten Nebeneffekte in den Blick zu nehmen. Oder gleiche visuelle Clues nutzen, die uns unseren Reduktionismus bewusst machen. Aktuelles Beispiel: wir fokussieren uns gerne auf die Reduktion von CO2-Werten als vordergründiges Nachhaltigkeits-Ziel. Klingt einfach und fokussiert, lässt aber außer Acht, dass es noch ganz andere Krisen und planetare Grenzen gibt, die mindestens ebenso wichtig sein sollten (siehe Infografik weiter unten).
Systemisches Denken trainieren am eigenen Laib: Hack your Health Dokumentation über die System-Effekte der Darmflora.

Hebel für nachhaltige Organisationen lassen sich also vor allem auch in der Organisationskultur finden, also in der Art, wie in Organisationen gedacht, diskutiert und entschieden wird. Eine Veränderung dieser Muster kann dazu führen, dass auch die Aktivitäten im Äußeren sich verändern – hin zu mehr zirkulären und systemischen Geschäftsmodellen

CO2 Konzentration ist nur eine der überstrapazierten planetaren Grenzen. Und nicht mal die wichtigste. Quelle: PIK.

Hebel 2: Zweck

Es geht gleich weiter mit der Gretchenfrage der Nachhaltigkeitsstrategie: Welchen Zweck hat eigentlich das Nachhaltigkeitsengagement für die Organisation? Da die Nachhaltigkeitsstrategie ja eine Sub-Strategie der Gesamtorganisation ist, stellt sich zudem die Frage: Wie passt die Nachhaltigkeitsstrategie zur Gesamtstrategie? Wie sind sie verknüpft? Gute Fragen, nächste Fragen? Hoffentlich nicht!

In der Praxis erleben wir häufig (und nicht nur bei Nachhaltigkeitsstrategien), dass diese Frage unbeantwortet bleibt – und damit keine Relevanz hat. Das hat zur Folge, dass Nachhaltigkeitsstrategie als Anhängsel behandelt wird, das ausschließlich Kosten verursacht.

Unser nicht mehr so heimlicher Held Roger Martin hat mal in diesem lesenswerten Artikel beschrieben, welchen Zweck eine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen kann. Wir haben seine Grafik mal ein wenig vereinfacht und eingedeutscht. Er unterscheidet in der beratertypischen 2×2-Matrix vier Zwecke. Dabei beschreibt die X-Achse, ob eine reine Unternehmensperspektive oder eine systemische Perspektive eingenommen wird, die Y-Achse beschreibt das „Mutlevel“ einer Organisation:

Zweck-Typologie basierend auf Roger Martin
  • Compliance: Hier hat die Nachhaltigkeitsstrategie den „einfachen“ Zweck, alle gesetzlichen und gesellschaftlichen Regeln einzuhalten. Das klingt einfacher gesagt als getan, denn bei sich ständig weiterentwickelnden Gesetzgebungen kann das mitunter herausfordernd sein (Stichwort: Lieferkettengesetz). Hier entsteht aber oft ein großer Hebel für Nachhaltigkeitsstrategie, um z.B. durch ESG-Kriterien weiterhin Zugang zu Finanzinstrumenten zu gelangen bzw. zu erhalten.
  • Wahl: In diesem Feld wird über den Gesetzes-Standard hinaus auf freiwilliger Basis ein zusätzlicher Standard etabliert. Beispiele dafür wären die Gemeinwohl-Ökonomie, B-Corp-Zertifizierungen, Fair-Trade-Siegel. etc
  • Strukturell: Hier versuchen sich mehrere Unternehmen zusammenzuschließen bzw. in Netzwerken zu engagieren, um gemeinsam Initiativen ins Leben zu rufen, die einzeln schwer stemmbar oder sogar unmöglich wären. Beispiele wären, geschlossene Materialkreisläufe als Netzwerk zu etablieren oder z.B. der gemeinsame Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos (z.B. Ionity als Joint Venture).
  • Strategisch: In diesem Bereich nutzen Organisationen ihre Nachhaltigkeitsstrategie, um einen strategischen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Bekannte Beispiele hierfür wären Patagonia oder Vaude, die als Öko-Pioniere einen klaren Wettbewerbsvorteil etablieren konnten.

Bei der Formulierung einer Nachhaltigkeitsstrategie ist der Zweck einer der wichtigsten Bausteine: Eine Positionierung hier ist enorm wichtig, da sie maßgeblich die anderen Felder der Strategie beeinflusst.

Oder anders herum formuliert: Wer dieses Feld offen lässt, riskiert eine unabgestimmte, schlecht funktionierende Strategie, die am Ende nicht mehr erreicht als – wait for it – „Bäume pflanzen.“

Hebel 3: Spielfelder

Der dritte Hebel ist die Entscheidung, auf welchen Spielfeldern eine Organisation aktiv werden möchte. Spielfelder können unterschieden werden anhand mehrerer Faktoren: geografische Spielfelder, unterschiedliche Angebotscluster, Kundensegmente, Teile der Wertschöpfungskette, etc.

Dieser Hebel der Nachhaltigkeitsstrategie wäre also, neue Spielfelder zu erschließen, die konventionellen Geschäftsmodellen verschlossen wären:

  • LOHAS Zielgruppe: Die berühmt-berüchtige LOHAS Zielgruppe (Lifestyle of Health and Sustainability) beschreibt Kundensegmente, die besonders nachhaltigeitsbewusst leben und dementsprechend möglichst nachhaltige Produkte und Organisationen bevorzugen. Bis zu 21% der Bevölkerung in Deutschland kann diese Zielgruppe ausmachen. Eine glaubhafte Nachhaltigkeitsstrategie bietet also Zugang zu diesem Markt.
  • Gen Z: auch wenn man von der Generationen-Segmentierung halten kann was man mag (wir z.B. eher wenig), so gibt es durchaus Studien, die zeigen, dass besonders dieses Kundensegment einen sehr großen Mehrwert auf Nachhaltigkeitskriterien legt.
  • Millennial Parents: Junge Eltern, die besonders auf nachhaltige Produkte und ethisch verantwortungsvolle Marken achten, um ihren Kindern eine gesunde und umweltbewusste Zukunft zu bieten.
  • Silver Ager: Ältere Generationen, die vermehrt Wert auf Gesundheit und nachhaltige Produkte legen und ihr Leben in einem bewussteren und ressourcenschonenden Kontext führen wollen, insbesondere wenn es direkten Bezug zu Enkelkindern gibt.

Durch den Spielfeld-Hebel kann eine Nachhaltigkeitsstrategie also Schlüssel zu neuen Zielgruppen sein.

Hebel 4: Wertversprechen

Hier sind wir beim Kern des „Bäume pflanzen“ angelangt. Ganz allgemein in Porters Sinne gesprochen geht es bei diesem Teil der Strategie um die Frage, wie man sich gegenüber Kunden positioniert: als Differentiator oder durch Kostenführerschaft?

Nachhaltigkeitsstrategien funktionieren für beide Entscheidungen:

  • Differenzierung: Durch eine funktionierende Nachhaltigkeitsstrategie können Wettbewerbsvorteile und Alleinstellungsmerkmale aufgebaut werden (immer bezogen auf bestimmte Spielfelder, sicher nicht für alle). Produkte mit solchen Merkmalen sind in den vergangenen Jahren mehr als 5x so stark gewachsen. B-Corp Unternehmen waren bei dieser Studie die am stärksten wachsenden Unternehmen in ihren Branchen.
    (Disclaimer: hier wird nach wie vor Erfolg mit finanziellem Wachstum gemessen. Das ist unserer Ansicht nach ziemlich reduktionistisches Denken. Es sollte nicht um den Business Case for Sustainability gehen, sondern eher um den Sustainability Case für Business.)
  • Kostenführerschaft: Eine Nachhaltigkeitsstrategie kann durch effizienten Ressourceneinsatz und Nutzung erneuerbarer Energien (als mit Abstand günstigster Energieträger) in der Tat auch Kostenvorteile schaffen. Dieser Hebel ist besonders der Grund, warum das Narrativ „Nachhaltigkeit kostet“ zu kurzsichtig ist und durchaus das Gegenteil bewirken kann: „Nachhaltigkeit spart!“
  • Fokus: Besonders spannend ist vor allem auch die strategische Entscheidung für Fokus, also die Besetzung von „noch“ kleinen Nischen. Diese Strategie ist sehr vielversprechend, um später größere Märkte zu bedienen und so das „Crossing the Chasm„-Dilemma für Nachhaltigkeitslösungen aufzulösen.

Hebel 5: Kompetenzen

Wie bei jeder Strategie ist diese nur erfolgreich, wenn die passenden Kompetenzen zur Verfügung stehen. Ansonsten wird die Aktivierung bzw. „Execution“ dieser Strategie schwer bis unmöglich werden. Strategie bleibt dann eine hübsch gestaltete PowerPoint-Präsentation.

Für Nachhaltigkeitsstrategien sehen wir generische Kompetenzen, die für (fast) alle Strategien unabdingbar sind:

  • Systemisches Denken: Eine populäre Operationalisierung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ ist die Triple Bottom Line: „Nachhaltig“ sind solche Organisationen, Produkte, etc. die sowohl ökonomische, ökologische als auch soziale Mehrwerte für unsere Gesellschaft generieren. Dabei stehen diese Kriterien nicht nebeneinander, sondern sind systemisch ineinander verwoben. Ohne Planet keine Gesellschaft, ohne Gesellschaft keine Wirtschaft. Dementsprechend ist systemisches Denken als Kompetenz unerlässlich, entweder als Multi-Stakeholder-Ansatz oder sogar als Systemic Design Innovationsprozess.
  • Komplexitätskompetenz: Die Klimakatastrophe ist die Mutter aller Komplexitäts-Szenarien. In der Klimakrise gibt es unzählige Abhängigkeiten, globale Wirkungsketten und höchst unsicheres Wissen darüber. Wer da keine Komplexitätskompetenz hat, in unsicheren Welten zu arbeiten, der/die ist schlicht überfordert von solchen Arbeitsbedingungen. Komplexitätskompetenz wird eine Grundvoraussetzung, um in solchen Umwelten überhaupt sinnvolle Strategien zu entwickeln.
  • Service-Orientierung: Ein wichtiger Hebel für eine Dekarbonisierung ist die Entwicklung weg von Produkt-Organisationen hin zu Service-Anbietern, die nur noch den Nutzen von Produkten, nicht die Produkte selbst, vermarkten. Allerdings bedeutet dies eine signifikante Änderungen für Unternehmen, nicht mehr Produkte einmalig zu verkaufen, sondern ein Service-Anbieter mit ständigem Kundenkontakt zu werden. Ein bekanntes Beispiel für dieses Prinzip ist Interface, dass gewerbliche Teppiche nicht mehr verkauft, sondern vermietet. Unser Sustainability Innovation Cube zeigt dabei weitere Hebel für Nachhaltigkeitsinnovationen auf.
Ray Anderson, Gründer von Interface

Kompetenzen sind ein Henne-Ei-Dilemma der Strategieentwicklung: Ohne Kompetenzen wird es schwer, nachhaltige Wertversprechen für Spielfelder zu entwickeln. Ohne vielversprechende Wertversprechen und Spielfelder gibt es keinen großen Anreiz, solche Kompetenzen aufzubauen.

Unsere Devise für dieses Dilemma ist das Entwickeln in kleinen Schritten: Selbst mit dem Zweck „Compliance“ (siehe Hebel 1) lässt sich schon ein Bedarf nach Kompetenzentwicklung rechtfertigen. Diese Kompetenzen wiederum ermöglichen es Mitarbeitenden oft, über den Tellerrand zu denken und neue strategische Zwecke zu etablieren, die wiederum den Aufbau neuer Kompetenzen rechtfertigen.

So können sich Organisationen Schritt für Schritt zu Nachhaltigkeitsstrategien mit großem Nachhaltigkeitspotenzial nähern.

Hebel 6: Strukturen & Prozesse

Die oben erwähnten Kompetenzen sollten natürlich langfristig gestärkt und etabliert werden, um strategisch wirken zu können. Dafür benötigt es Strukturen und Prozesse. Für eine Nachhaltigkeitsstrategie ergibt sich daraus eine Vielzahl an Themen, die als strategische Hebel fungieren:

  • CO2- und ähnliche Bilanzierungen: Messbarkeit des eigenen Impacts ist insbesondere für Nachhaltigkeitsbemühungen unglaublich wichtig. Auch wenn das berühmte Zitat „If you can’t measure it, you can’t manage it“ ein Mythos ist, so ist eine gute Datenlage unglaublich wichtig und hilfreich um zu verstehen, wo welche Bemühungen am effizientesten sind. Bilanzierungen sind also ein guter strategischer Startpunkt. Und – fast noch wichtiger – sind Daten ein sehr wichtiges Argument gegenüber allen „Whataboutism“-Abwehrreaktionen der eigenen Organisation. Das solche Bilanzierungen überraschende Einblicke liefern können, haben wir schon am eigenen Leib erfahren.
  • Stakeholder-Testing: Bei nutzerzentrierten Innovationsmethoden gehört es zum guten Ton, neue Ideen mit Nutzern zu verproben. Dementsprechend wichtig sind Strukturen, die schnell und günstig Nutzertests ermöglichen – im ganzen Unternehmen. Das gleiche sollte für planetenzentriertes Vorgehen gelten: Eine Struktur für alle Mitarbeitende zu etablieren, schnell und günstig Ideen mit wichtigen Stakeholdern zu verproben. Allein diese Infrastruktur könnte schon ein wichtiges trojanisches Pferd der Nachhaltigkeitsstrategie sein (und wir lieben trojanische Pferde bei Dark Horse).
  • Zentral vs. dezentral: Wer genau ist eigentlich Owner*in der Nachhaltigkeitsstrategie? Und wo sitzt diese*r Owner*in, hierarchisch gesprochen? Während Nachhaltigkeit als PR- oder CSR-Initiative noch zentral gemanagt werden kann, kann eine Nachhaltigkeitsstrategie, die Geschäftsmodelle verändert, doch auch nur da sitzen: bei den Geschäftsmodell-, Produkt-, Service-Teams. Dezentral also.
    Wie bei Innovation auch entsteht daraus eine interessante Frage, welche Funktionen der Nachhaltigkeit zentralisiert werden und welche dezentral etabliert werden sollten. Könnte „Innovation ist keine Abteilung, sondern Mindset“ sogar auch auf Nachhaltigkeit zutreffen?

Auch der Block „Strukturen & Prozesse“ zeigt also einige Potentiale für trojanische Pferde auf, um Nachhaltigkeit noch stärker strategisch zu etablieren.

Fazit

Das waren sie auch schon, die sechs Felder der Nachhaltigkeitsstrategie. Jedes Feld beinhaltet eine kleine feine Auswahl an strategischen Hebeln, die genutzt werden können, um Organisationen nachhaltiger wirken zu lassen.

Der wichtigste Hebel kommt aber zum Schluss: Irgendwo im Hinterkopf unser werten Leser*innen spukt jetzt die Frage herum, welcher Hebel jetzt der beste, effizienteste oder zumindest effektivste Hebel ist? Die Antwort darauf ist so einfach wie frustrierend: keiner davon.

Warum? Um Organisationen, also soziale Systeme, zu verändern, brauchen wir meistens immer mehrere Hebel, die zusammen spielen und sich gegenseitig verstärken. Ein einziger Hebel, eine Silver Bullet, wirkt oft nicht. Das wurde sogar schon untersucht: Es sind genau genommen mehr als 20 Hebel, die gleichzeitig erst eine Veränderung erzeugen.

Das kann man sich dann wie bei der Akupunktur vorstellen: Eine Nadel allein hilft nicht, es braucht schon mehr. Die gute Nachricht dabei: Wenn mal eine Nadel nicht funktionieren sollte in deinem Unternehmen, versuch es mit den vielen anderen Nadeln, die man noch probieren könnte (z.B. in Playbooks oder bei Kompliz*innen zu finden).

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