Menschen sind von Natur aus hervorragende Gestalter*innen. Das (un)bewusste Formen unserer Umwelt hat uns zur dominanten Spezies des Planeten werden lassen. Leider haben wir in vielen Ländern ein Wirtschaftssystem gebaut, das die Orientierung an egoistischen Zielen (siehe Human-Centeredness vs. Planet-Centeredness) und kurzfristigen Gewinnen (Quick Wins) begünstigt. Das fällt uns immer spürbarer auf die Füße.
Heute sollten wir bewusster, im wahrsten Sinne des Wortes vor-sichtiger (bzw. care-ful) gestalten und ebenso über unseren Tellerrand hinaus denken, um bereits entstandene und potenziell neue Schäden am Lebensraum Erde zu reparieren bzw. zu verhindern. Es ist eine gute Zeit für Designer*innen: Wir – die Menschheit! – dürfen alles neu gestalten. Um das zu bewerkstelligen, benötigt man nicht nur altbekanntes Handwerkszeug wie Canvases und Prototypen, sondern vor allem Transformationskompetenz. Mit Blick auf Organisationen haben wir uns damit bereits ausführlich beschäftigt. Aber wie sieht es damit auf individueller Ebene aus?
Was gehört dazu, und wie erlernt man die? Am besten klassisch: by doing. Also durch einen Mix aus mutigem Ausprobieren, Rezipieren und Lernen. Aber natürlich ist das eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, sind wir doch so konstruiert, möglichst viel energiesparend über gewohnte Routinen zu bewältigen. Transformation setzt bewusstes Umdenken voraus. Und dafür stürzt man sich idealerweise ins Getümmel und beginnt, nach etwas Übung, zu schwimmen.
In diesem Text wollen wir ein paar essenzielle Qualitäten der Transformationskompetenz erklären und einen Überblick schaffen, worauf es bei gelingender Transformation – unter anderem – ankommt.
Solide Grundlagen schaffen für Transformation
TL;DR: Transformation beginnt mit der Erkenntnis, dass Veränderung unvermeidlich ist. Indem wir uns von allzu linearen Denkmustern lösen, zyklische Prozesse fokussieren und mental beweglich bleiben, schaffen wir eine solide Basis für transformative Entwicklungen.
Quelle: @voinonen / BusinessIllustrator.com
1. Notwendigkeit von Transformation anerkennen:
Der erste Schritt der Transformation ist die banale Erkenntnis, dass bloßes Ignorieren keine Option mehr ist. Wie der berühmte Frosch, der langsam in heißem Wasser gekocht wird, haben wir lange die steigenden Temperaturen unserer Erde ignoriert. Es ist deshalb Zeit, in die Gänge zu kommen, denn die Klimakrise wartet nicht auf uns. Dazu kommt: Alles, was wir tun oder lassen, gestaltet unsere Welt. Die Annahme, dass Nichtstun keine Folgen hat, ist selbst ein gestalterischer Akt mit Konsequenzen: Bestehende Systeme werden ständig durch unsere Arbeit aufrechterhalten und reproduziert. Wir handeln dabei ununterbrochen, allerdings meist mehr oder weniger bewusst und intentional. Man kann eben nicht nicht gestalten.
2. Linearen Prozessen misstrauen:
Wir müssen verstehen, dass Transformationsprozesse nicht linear, sondern zyklisch verlaufen. Wie auch alles andere, was in der Natur passiert. Es gibt eben nicht den einen richtigen Weg, der, einmal durchlaufen, die gewünschte Veränderung auslösen wird und dann abgeschlossen ist. Das gilt für das Versprechen generischer Design Thinking Sprints genauso wie für weitreichende Transformationsprozesse in Unternehmen. Vielmehr gibt es verschiedene Experimentierpfade, die erforscht, angepasst und ständig neu bewertet werden müssen. Vorwärtsscheitern als Leitmotiv, sozusagen; Iteration als Innovationstreiber. Denn: Es gibt keine Blueprints für gelingende Veränderung, die ist nämlich immer kontextabhängig. Und jede Veränderung lebt durch Kontinuität: Es existiert keine finale Ziellinie, nur fortlaufende Anpassung an neue Verhältnisse.
3. Beweglich bleiben:
Die Fähigkeit, mental flexibel zu bleiben und Strukturen zu schaffen, die Anpassung und Inspiration ermöglichen, ist entscheidend. Manchmal finden sich Lösungen in völlig unerwarteten Ecken des Universums. Kontinuierliches Erforschen und furchtloses Adaptieren sind lohnenswerte Herangehensweisen, die sich immer auszahlen. Zudem existiert bereits eine Vielzahl an Lösungen, die schon seit ca. 4,6 Milliarden Jahren erprobt wurden, nämlich in der Natur. Agilität ist aber auch gefragt, wenn sich herausstellt, dass sich grundlegende Annahmen und verfestigte Standpunkte als nicht mehr hilfreich erweisen. Die Fähigkeit, den Kurs zu wechseln, wenn sich Informationen und Umwelten verändern, ist fundamental wichtig für Transformationspraktiker*innen. Loslassen, Exnovation oder grundsätzliches Neudenken ist kein Fehlereingeständnis, sondern Balastreduktion. Die Forderung nach ständiger Transformation ist seit langem von neoliberalen Wirtschaftsvertretern als Motor für noch mehr Wachstum genutzt worden. Wie also können wir die notwendige Transformation und Ausrichtung an den physikalischen und ökosystemischen Grenzen unseres Lebensraums vom schädlichen Transformationsmandat abgrenzen?
4. Das Neue sehen lernen:
Designer*innen von Transformation sollten lernen, das Neue zu sehen und sich wildes Denken zumuten. Die Fähigkeit, sich bisher Unvorstellbares vorzustellen, ist essenziell, um wirklich transformative Lösungen zu entwickeln. Another world is possible. Und ohne Ziel ist jeder Rückenwind verspielt. Design Futuring ist hier ein nützliches Werkzeug, das Strategieprozesse und -entscheidungen in dieser Hinsicht informieren kann. Und auch zu formulieren, was man (nicht mehr) möchte, ist eine Grundvoraussetzung für gelingende Transformationsarbeit. Wir dürfen und müssen uns wieder trauen, groß und neu zu denken, denn nur so wird die Zukunft (im wahrsten Sinne) attraktiv.
Die Rolle von Synergie und Verantwortung bei der Transformation
TL;DR: Indem wir Visionen entwickeln, kooperative Ansätze fördern und gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen, ebnen wir den Weg für eine enkeltaugliche Zukunft.
Das klassische Verantwortungstrilemma (zugespitzt, eigene Darstellung)
5. Transformation in Allianzen denken:
Hierbei geht es darum, relationale und kooperative Ansätze zu fördern, die über den Menschen und seine Bedürfnisse hinausgehen. Wir müssen also nicht nur über Inklusivität und (echte!) Ko-Kreativität als Schlüsselkomponenten nachdenken, sondern auch, wie wir nicht-menschliche Akteure im Entwurfsprozess mitdenken. Wir sind nicht allein auf diesem Planeten und unsere Abhängigkeit von einer intakten Biosphäre ist größer, als wir uns das vielleicht wünschen. Wir sollten wieder Gärten anlegen – im realen wie im übertragenen Sinne – in denen jeder Organismus symbiotisch zur Gesundheit des Ganzen beiträgt.
6. (Selbst)kritisch bleiben:
Zu hinterfragen, wer eigentlich von Veränderungsprozessen (oder deren Verhinderung!) profitiert, ist wichtig. Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Dem Impuls, sofort zu einer möglichen Lösung zu kommen, bevor man das eigentliche Problem gut verstanden hat, sollte nicht unmittelbar gefolgt werden. Maß und Vor-Sicht sind notwendige Mittel, um effektiv und nachhaltig zu handeln.
7. Eigenverantwortung ernstnehmen:
Jede*r Einzelne muss sich der eigenen, individuellen Verantwortung bewusst werden, erlerntes Verhalten kritisch hinterfragen und prüfen, ob Nachhaltigkeit wirklich am Arbeitsplatz endet. Welche Gewohnheiten konterkarieren die ambitionierte Nachhaltigkeitsbemühungen? Welche Gelegenheiten für Transformation lassen wir zugunsten eigener Bequemlichkeit lieber aus dem Blick? Und wann gewöhnen wir uns an die Notwendigkeit, solche unbequemen Dinge offen zu besprechen, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen und mit gemeinsamer, konstruktiver Lösungsabsicht? Nimmt man an, dass alle Menschen legitime Bedürfnisse haben, für deren Erfüllung sie noch keine Strategien gefunden haben, die mit den planetaren Grenzen vereinbar sind, könnte ein persönlicher Ansatz darin bestehen, nach regenerativen und nachhaltigen Alternativen zu suchen. So könnten wir für Flugreisen Alternativen in Betracht ziehen, die ebenfalls Entspannung, Abenteuer oder die Lust auf neue Erfahrungen adressieren, seien es umweltfreundlichere Transportmittel oder einen Urlaub in näherer Umgebung.
Praxis, Zusammenhänge und optimistische Beharrlichkeit
TL;DR: Mit Mut und Demut voranschreiten, alternative Wachstumsmodelle erforschen und systemische Zusammenhänge erkennen – um neuen Mehrwert zu entfesseln und hartnäckigen Widerständen zu trotzen.
Quelle: Johan Rijpma, Extrapolat, 2016
8. Demütig, aber mutig sein:
Wer sich in neues, unbekanntes Terrain wagt (und nichts anderes sind die wünschenswerten Zukünfte, denen wir uns schrittweise nähern), ist mit Unsicherheit konfrontiert. Folglich können wir nicht alles wissen oder alles benötigte Wissen einkaufen, das uns aus dem Schlamassel befreit. Vortasten und Unwissenheit aushalten sind deswegen geeignete Mittel, dieser Wissenslücke zu begegnen. Dabei dürfen wir verletzlich sein, auch um anderen Mut zu machen: Probiert Neues aus, geht Risiken ein und scheitert vielleicht auch dabei! Aber tut etwas. Ein Verfallen in die klassische Analysis Paralysis ist nicht hilfreich; trotz begrenzter Informationen loszulegen, schon. Lieber sollten wir uns fragen “is it safe enough to try?” Und am besten gleich hinterher: “Was wären mögliche Konsequenzen unserer Intervention, wenn drei Milliarden Menschen damit arbeiten würden”? Idealerweise denken wir dann nämlich über lokal verortete Lösungen nach, um unerwünschte Folgen unverhältnismäßiger Skalierung zu vermeiden. Imperativ müsste sein, frei nach Heinz von Foerster und Kant: Handle stets so, dass die Anzahl der künftigen Möglichkeiten wächst.
9. Alternatives Wachstum erforschen:
Ein System, das auf quantitatives Wachstum ausgelegt ist und Erfolg und Wohlstand als das Anhäufen von mehr definiert, muss auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen zwangsläufig an Grenzen stoßen. Dabei muss mehr nicht notwendigerweise besser bedeuten; immerhin sind der Erhalt und die Jagd nach immer größeren Errungenschaften auf lange Sicht ebenso anstrengend wie ermüdend. Wer mehr haben möchte, muss dafür auch mehr Energie aufbringen – in Konkurrenz zu anderen, die ebenso daran interessiert sind, sich das größte Stück vom Kuchen zu sichern. Doch was wäre, wenn wir uns stattdessen vornehmen würden, qualitativ zu wachsen? Wie schaffen wir alternative Werte abseits neuer Produkte, die so oder so ähnlich bereits existieren? Wie sähe eine Welt aus, in der wir uns gern damit begnügen, die Dinge einfach “gut sein zu lassen” und uns die Frage stellen, wie viel materiellen Besitz wir wirklich benötigen, damit wir uns wohlfühlen? Wir sollten über unsere Prioritäten und Werte als Gesellschaft nachdenken und hinterfragen, ob ständiges Streben nach Mehr wirklich unserem langfristigen sozialen, mentalen, ökologischen und ökonomischen Wohl dient. Wohlstand umfasst eben weit mehr als nur ein steigendes Bruttoinlandsprodukt. Um dies angemessen darzustellen, braucht es nicht nur zeitgemäße Messgrößen, sondern vor allem eine veränderte Sichtweise darauf, was Zufriedenheit bedeutet.
10. Systemische Zusammenhänge verstehen:
Die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, sind häufig von hoher Komplexität und durch manchmal mehr, manchmal weniger sichtbare systemische Zusammenhänge bestimmt. Der Spätkapitalismus der westlichen Welt basiert auf der Idee von unendlichem Wachstum und maßloser Profitsteigerung und begünstigt vor allem diejenigen, die bereits privilegierte Positionen besetzen. Eine Folge dieser Bemühungen ist, dass mittlerweile mehr Technosphäre als Biomasse auf der Erde existiert. Und dass die Menschen trotz vermehrten Konsum nicht unbedingt glücklicher sind.
Sich dieser Logik zu entziehen ist kompliziert und fühlt sich oftmals nach Verzicht an. Dabei geht es doch eigentlich um den Gewinn von meist weniger beachteten Qualitäten, wie denen nach sozialer Nähe, sauberer Luft zum Atmen, ethischer Geschäftspraktiken und Arbeitsumgebungen oder mehr Mitspracherecht marginalisierter Gruppen. Deswegen muss die Frage nach einem lebensdienlicheren Betriebssystem gestellt werden – ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis sich soziale Ungleichheiten derart verschärfen, dass sich der Sinnfrage danach, ob wir wirklich weiterhin so leben möchten, früher oder später nicht mehr ausweichen lässt. Eine Systemlogik, die blind gegenüber unverhandelbarer Grenzen weiter für unbegrenztes Wachstum plädiert, ist in sich selbst problematisch und muss deswegen neu betrachtet werden; alles andere ist Symptombehandlung.
Und nicht nur Treibhausgase und Ungleichheiten sind problematisch, auch das soziale Klima des Gegeneinander spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe. Wettbewerb belebt nämlich nicht nur das Geschäft und erhöht damit den Ressourcenaufwand, sondern macht indirekt auch gegenseitige Sabotage und Missgunst wahrscheinlicher. Wer nur auf das eigene Wohl und das einiger weniger Lieblingsmenschen fixiert ist, übersieht, dass der Mensch mit der Gesellschaft und der Natur als Ganzes verwoben ist und wir einander brauchen.
11. Transformation durch Kooperation statt Dominanz kultivieren:
Wir haben viel zu häufig gehört und entsprechend internalisiert, dass der*die Stärkere gewinnt. Darwin wird immer noch oft fehlinterpretiert, wenn sein “survival of the fittest” aus kompetitiver Perspektive zitiert wird. Die Natur als der am weitesten entwickelte Organismus auf diesem Planeten lehrt uns nämlich das Gegenteil. Hier gewinnt, wer sich die passende Nische sucht. Das Prinzip lautet: Symbiose statt Dominanz, denn nichts gedeiht in Isolation. Deswegen, auch aus Resilienzgründen, sind Modelle wie lokale Lieferketten und Kooperativen zurecht immer wieder Gegenstand progressiver unternehmerischer Überlegungen.
Aus dem gleichen Grund brauchen wir vernetzte, silo-übergreifende Lernkulturen in Unternehmen, durch die wir Wissen strukturiert miteinander erschließen, tauschen und einordnen. Nur so kann ein umfassendes und diverses Bild von Komplexität entstehen, mit dem wir im Verband produktiv arbeiten können. Und nur so kann Erfahrungswissen flächendeckend genutzt werden. Fundament dessen ist die Bereitschaft, eigene Wissensressourcen transparent zu machen.
12. Aushalten, durchhalten, verhalten:
Wer Dinge verändert, erfährt für gewöhnlich Gegenwind. Manchmal ist es die eigene Bequemlichkeit, die einen am Vorankommen hindert. Oft sind es aber auch Strukturen, die sich hartnäckig halten, obwohl sie nicht mehr dienlich sind. So begegnen uns beispielsweise häufig eingeschleifte Machtstrukturen, die manchmal unüberwindbar erscheinen. Auch gewachsene Ungerechtigkeiten müssen deshalb adressiert werden, denn wer z.B. horrende Gewinne einfährt, weil er woanders Menschen ausbeutet, gehört zu Recht dafür kritisiert und handelt aus sozialer Perspektive nicht nachhaltig.
Degeneratives Handeln in allen Dimensionen (politisch, sozial, ökonomisch, ökologisch) sollte deswegen klar benannt werden. Dazu gehört Mut – und Durchhaltevermögen. Hierbei geht es nicht um bloßes Moralisieren; es geht um ehrlichen Pragmatismus, denn jedes Zerstören der Umwelt für kurzfristigen Profit führt letztlich zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Geduld und Beharrlichkeit sind Attribute, die für gelingende Veränderungen essenziell sind.
Und nun?
Wie übersetzt man diese Qualitäten nun in den Alltag? Wo und wie kann man am besten anfangen? Wir bei The Dark Horse glauben, dass zusammen reisen besonders viel Spaß und Erfolg verspricht, denn: Ohne Gefährt*innen ist kein Glück erfreulich. Weswegen wir uns gern gemeinsam mit euch auf den Weg machen, um Antworten für euren Kontext zu finden.
Traditionelle Beratung konstruiert dabei oft ein künstliches Machtgefälle und suggeriert Sicherheit, wo selten welche ist: Auf der einen Seite der*die allwissende Berater*in, der*die vermeintlich alle Antworten parat hat – auf der anderen Seite die zu beratende Organisation, die brav befolgt, was sich in den letzten hundert Jahren Betriebswirtschaft als nützlich (weil profitmaximierend) erwiesen hat.
Wir setzen lieber auf authentische Begleitung, die gemeinsames Vertrauen fördert, mit offenen Fragen jongliert – aber auch geteilte Verantwortlichkeiten bemüht, und durch strukturierte Exploration und Stakeholdereinbindung echte Lernprozesse ermöglicht. Denn daraus entsteht letztlich Erfahrung, und daraus erwächst: Transformationskompetenz.
Wer Lust hat, sich uns anzuschließen, schaut entweder auf unserer Academy-Website vorbei oder nimmt direkt Kontakt auf.