Warum Nachhaltigkeit zum strategischen Imperativ wird

Designing Strategy | Nachhaltigkeits-Innovation | Schokokuchen

tl;dr: Noch wird in den Unternehmenszentralen Nachhaltigkeit gerne als „Nice-to-have“-Spielfeld wahrgenommen, als Sahnehäubchen auf der Torte. Wir glauben allerdings: Bleiben Organisationen bei dieser Einschätzung, wird es sehr bald erst gar keine Torte mehr geben! Nachhaltigkeit wird vom Sahnehäubchen zum strategischen Imperativ.

Starten wir doch mal mit einem kleinen Gedankenexperiment*: Stellt euch vor, ihr habt euch vorgenommen, euch gesünder zu ernähren. Das Problem dabei ist: Ihr habt eine Schwäche für Schokokuchen. Also, eine große Schwäche…

Ihr verputzt einen ganzen Schokokuchen am Tag. Um euch jetzt gesünder zu ernähren, habt ihr eine großartige Idee: Jeden Tag mischt ihr ein paar Zucchini-Stücke unter den Schokokuchen! Nicht zu viele, der Geschmack soll ja bitteschön noch schokoladig bleiben. Dafür ist der Schokokuchen jetzt auf jeden Fall gesünder als zuvor und eure Ernährung ist … nun ja, gesünder eben. Tschakka!

Dieses Bild passt ganz gut zum vorherrschenden Verhalten, wie sich Unternehmen gerne dem Thema Nachhaltigkeit nähern: In den Schokokuchen (fossile Geschäftsmodelle) werden ein paar Zucchini-Stücke gemischt (klimaneutrale Label) und voila, gleich ist das Unternehmen nachhaltiger. Tschakka!

Weniger Schokokuchen oder mehr Zucchini?

Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Bild und stellen uns die entscheidende Frage: Wie kommen wir von der Schokokuchen weg? Radikalkur und anstatt Schokokuchen nur noch Pilzpastete (übrigens sehr zu empfehlen) essen? Oder lieber Stück für Stück den Schokokuchen durch Zucchinistücke ersetzen und auf diese Weise den Schokokuchen ausphasen?

Was würden denn Ärzt*innen ihren Patient*innen empfehlen, deren Gesundheit einen radikalen Lebenswechsel erfordert? Weniger Schokokuchen oder eher mehr Zucchini? Die (englische) Antwort lautet: 

“Starting with small changes in a patient’s life is much more effective than insisting on an overhaul. Patients who are faced with a radical change in their lives often feel overwhelmed and don’t even try. But they feel they can make small steps and many small steps add up to big changes.” (Quelle)

Zumindest in der Medizin scheint also die Mehr-Zucchini-Taktik für viele Menschen effektiver zu sein. Für viele, nicht für alle! Jene Patient*innen, die eine Radikalkur nicht überfordert, sondern vielleicht sogar motiviert, sind mit der Null-Schokokuchen-Politik dann doch besser dran. 

Wie bei uns Privatmenschen gibt es auch für Organisationen nicht DEN einen Weg zur Nachhaltigkeit. Bei der einen Organisation wird es vielleicht die Radikalkur, bei der anderen eher die Zucchini-Beimisch-Taktik. Am Ende zählt (nur) die Richtung. Und: Geschwindigkeit. Deswegen sprechen wir übrigens gerne von nachhaltigkeitsorientierten Innovationen, denn „Nachhaltigkeits-Innovationen“ gibt es per Definition leider nicht. 

Allerdings, und das ist immer gleich, egal ob es um weniger Schokokuchen oder mehr Zucchini in der Organisation geht: Der Wille zählt. Bei Unternehmen heißt das: Strategie!

Nachhaltigkeit ohne Strategie ist: Greenwashing.

Um sich also als Unternehmen auf den Weg zu machen, Schritt für Schritt, Zucchini für Zucchini, braucht es eine strategische Verankerung. Sprich, es braucht ein paar Entscheidungen, ob man ab heute Schokokuchen radikal mit Pilzpastete ersetzt oder mit immer mehr Zucchinistücken beimischt, bis irgendwann nur noch Zucchinistücke im Teller sind. Denn ein paar Zucchinistücke unterzumischen, ohne wirklich auf den Schokokuchen verzichten zu wollen, führt langfristig zu keiner gesunden Ernährung. Im Business-Sprech heißt das dann: Greenwashing.

Umgekehrt aber – Vorsicht, Gehirnknoten! – können Zucchinistücke sehr wohl ein erster wichtiger Schritt sein, wenn  dann auch weitere Schritte folgen. Die Zucchini selbst, z.B. klimaneutrale Produkte oder noch besser, klimaneutrales Auto-Tanken, sind für sich genommen noch kein Greenwashing. Sie werden es erst, wenn keine weiteren Schritte folgen.

Genau aus diesem Grund braucht es aus unserer Sicht auch mehr Fehlerkultur für nächste Schritte, selbst wenn die ersten Schritte noch nicht das Gelbe vom Ei sind (siehe unseren englischen Beitrag „Stop bashing sustainability fails, encourage them“). Mehr Unterstützung für Bemühungen statt finger pointing und whataboutism braucht das Land der Planet!

* Disclaimer: Dieses Gedankenexperiment kommt übrigens nicht von uns, sondern von Elisa von Einhorn, die in diesem Vortrag sehr eindrücklich die Schwierigkeiten bei Einhorn und anderen Unternehmen beschreibt, von der Schokokuchen loszukommen.

Berühmte Zucchini, homöopathisch beigemischt

Apropos Fehlerkultur: Wusstet ihr, dass der „persönliche CO2-Fußabdruck“ eine Erfindung von BP war (genau genommen von deren Werbeagentur)? Ziel des Ganzen war es, die Verantwortung der CO2-Emissionen auf das Individuum abzuwälzen. Und wer schon mal einen solchen individuellen CO2-Rechner ausprobiert hat, der kennt wohl das frustrierende Gefühl oder die Ohnmacht, die sich gerne mit solchen Rechenergebnissen einstellt: „Was kann ich alleine schon ausrichten? Meine 11 Tonnen gegen die 36.400.000.000 Tonnen weltweit, die allein durch fossile Energien verursacht werden.“

Dieser Verantwortungs-Ball sollte ziemlich schnell zurück ins Feld der Organisationen gespielt werden: Als individuelle Privatmenschen haben wir vielleicht wenig Einfluss, aber als Organisationen haben wir sehr wohl die Hebel in der Hand, signifikante Veränderungen anzustoßen. Denn der Schokokuchen-Verbrauch in Unternehmen ist ungleich höher als bei uns Privatmenschen zu Hause. Und man bedenke: Organisationen sind von Individuen gemacht; und Individuen sind es, die Organisationen verändern. 

Kurze Werbeunterbrechung: Aufbauend auf der Mehr-Zucchini-Taktik haben wir bei uns die betriebliche Klimavorsorge ins Leben gerufen. Kann man gerne auch als Individuum in die eigene Organisation tragen, für mehr Zucchini-Stücke und so. Das Konzept ist Open Source und funktioniert auch ab dem/der ersten Mitarbeiter*in.  

Bislang sind die berühmten Zucchini-Stücke in vielen Unternehmensdebatten leider eher homöopathisch dosiert: Fairtrade-Kaffee in der Kantine und recyceltes Druckpapier sind zwar super, aber nur ein Tröpfchen auf dem heißen Stein, wenn die Emissionen der originären Geschäftsmodelle ungleich höher sind. Bleiben wir im Bild: Vor lauter Schokokuchen schmecken wir solche Zucchini-Stücke nicht.

Wir finden deshalb: Unternehmen sollten im betrieblichen Klimaschutz mehr wagen, viel mehr: Ganze Zucchini in der Schokokuchen-Form quasi. Oder Pilzpastete-Radikalkur (So, jetzt haben wir diese Metapher langsam ausgereizt.) Auf jeden Fall braucht man für beides: Strategie!

Welche strategischen Entscheidungen sind (endlich mal) nötig?

Fällt das Stichwort „Strategie“, so ist erfahrungsgemäß direkt von einem mythischen Fabelwesen die Rede: viele haben davon gehört, keiner hat es je gesehen. „Strategie machen die da oben! Strategie ist Magie auf Vorstandsebene! Strategie ist der Regentanz der Business-Welt!“ Oder wie Frollege Fred Fröse immer sagt: „Strategie ist eine Illusion.“ Dann kichert er immer manisch und reibt sich den Nasenrücken.

Wir halten es da lieber pragmatischer, frei nach Roger Martin: „Strategie ist ein Set an zusammenhängenden Entscheidungen, die Organisationen erfolgreich positionieren!“ Strategie ist also vor allem eine Problem-Lösungs-Technik, keine Magie. 

Wir sollten diese Magie Problem-Lösungs-Technik also dringend für mehr Nachhaltigkeitsausrichtung in Unternehmen nutzen. Denn die Unternehmenswelt ist einer, wenn nicht der Haupttreiber von Emissionen (Not-so-fun-fact: 100 Unternehmen zusammen sind für 71% der Emissionen weltweit verantwortlich! Und diese 100 Unternehmen haben oft mehr Budget als ganze Staaten. Und schneller entscheiden können sie in der Regel auch). 70% der weltweiten Emissionen sind auf die Produktion und Nutzung von Produkten zurückzuführen (Quelle: Circularity Gap Report 2021). 70% der weltweiten Emissionen sind also im direkten Einflussbereich von Unternehmen.

Basierend auf Roger Martins Framework haben wir bei Dark Horse ein eigenes Framework für strategische Entscheidungen entwickelt, damit Strategie pragmatisch als eine Reihe von Entscheidungen dargestellt werden und für unsere Schokokuchen-Challenge genutzt werden kann.

Dark Horse Strategie Hexagon, basierend auf Roger Martins „Playing to Win“-Framework

Als Organisation müssen wir also in sechs Bereichen Entscheidungen treffen, um Nachhaltigkeit in unsere aktuelle Strategie zu integrieren. Klingt machbar, oder? (Mehr zu den Bereichen könnt ihr in Kürze in einem zweiten Blog-Artikel nachlesen.)

Jedes Feld in dem Strategie-Hexagon bietet  die Chance, Schokokuchen durch Zucchini zu ersetzen. Wer das nicht macht, und hier schließt sich endlich der Kreis zur Überschrift, wird strategisch ins Hintertreffen geraten. Zwei Beispiele:

Erneuerbare Energien gefährden bisherige Kostenführerschafts-Strategien

Eine bewährte Strategie ist es, sich in seinen “Spielfeldern” als Kostenführer zu positionieren. Kostenführerschaft bedeutet vereinfacht, ein bestimmtes Produkt bzw. einen bestimmten Service zu den geringsten Kosten anzubieten (nicht zum geringsten Preis!). Basiert allerdings eben diese Kostenführerschaft aktuell auf fossilen Energieträgern, so besteht die große Chance, dass sehr bald (wenn nicht schon geschehen) ein Wettbewerber diese Kostenstruktur mit Hilfe erneuerbarer Energien unterlaufen kann. Warum? Weil der Preis für erneuerbare Energien schon jetzt deutlich günstiger – gerne mal halb so teuer – ist, als fossile Energien.

Gen-Z-Verhalten gefährdet bisherige Differenzierungs-Strategien

Schon jetzt ist gefühlt jedes zweite Produkt klimaneutral. Neutral nicht im Sinne von „keine Emissionen verursacht“ sondern neutral im Sinne von „Emissionen woanders auf der Welt kompensiert“ (siehe auch: Was wir von Klimaneutralität halten und wie wir in einer Woche klimaneutral wurden”). So schön, so homöopathisch gut. 

Das Problem aus strategischer Sicht? „Klimaneutralität“ wird zum Hygienefaktor, Kunden „erwarten“ es, ohne dass es die Möglichkeit bietet, sich von anderen Marken zu unterscheiden. So wie farbige Displays bei Smartphones (war früher mal nicer shice) oder pünktliche Züge (ok, vielleicht auch nicht).

Wer sich also bei zukünftigen Kunden in Sachen Nachhaltigkeit strategische Vorteile erarbeiten möchte, der muss nicht nur mehr machen, der muss es auch auf glaubwürdige und authentische Art und Weise machen. Das ist, so prophezeien wir es mal, die neue strategische Kernkompetenz beim Thema „Nachhaltigkeit“ . Denn 77% der Gen Z Käuferschaft legt darauf Wert. Im Umkehrschluss: Nicht-nachhaltige Angebote werden zur Nische?

Hier kommt dann auch der strategische Casus Knacktus: Authentizität ist schwer aufzubauen und leicht zu zerstören. Authentizität nach außen funktioniert nur mit passender Authentizität nach innen. In unserem Strategie Hexagon ist das mit dem Feld „Governance & Kultur“ bezeichnet. Strategie funktioniert nur, wenn die Entscheidungen in den Bereichen zueinander passen und sich verstärken, wenn sich „der Kreis schließt“.

Nachhaltigkeit als Wertversprechen funktioniert also nur mit entsprechender Unternehmenskultur. Aus diesem Grund funktioniert auch klimaneutrales Tanken nicht, solange noch munter weiter neue Ölfelder erschlossen werden und man von Gericht zu mehr Klimaschutz gezwungen wird (siehe: Causa Shell). Da schmeckt man auch einfach nicht mehr die paar guten Zucchinistücke (z.B. Förderung der Elektromobilität durch Shell) bei so viel Schokokuchen. 

Der strategische Imperativ und seine Chancen

Lange Rede also, kurzer Sinn: Aktuell gibt es viele Entwicklungen, die die strategischen Vorteile fossiler Geschäftsmodelle langfristig pulverisieren. Wenn Organisationen allerdings langfristig umsteigen wollen, müssen sie schon jetzt anfangen, Zucchini einzuführen. Chancen gibt es dazu genug, wie unser Hexagon und unser Sustainability Innovation Cube zeigt:

  • Bestehende Produkte können z.B. durch zirkuläre Maßnahmen entlang ihres Lebenszyklus hin optimiert werden
  • Produkte können zu sogenannten Produkt-Service-Systemen weiterentwickelt werden: aus dem Verkauf des Produkts wird ein Verkauf des Produktnutzens. Carsharing, Leasing, Pooling sind alles berühmte Beispiele dieser Dematerialisierungs-Taktik. In diesem Beispiel zeigt z.B. Osram Energy Hubs recht eindrücklich, wie dadurch ganz andere Zielgruppen adressiert werden können (Hashtag Bottom of the Pyramid).
  • Durch Geschäftsmodell-Innovationen können strategisch neue Optionen geschaffen werden, die die Überlebensversicherung für die Zukunft sind. Geschäftsmodell-Innovationen verändern gleich mehrere Elemente des Geschäftsmodell bzw. Der Strategie und sind damit auch deutlich herausfordernder.
  • Die Sensibilisierung für die eigenen Nachhaltigkeits-Herausforderungen (z.B. durch die betriebliche Klimavorsorge) und Partizipation von Mitarbeitenden kann helfen, die notwendige Transformation zu meistern und die unvermeidbaren Transformations-Schmerzen zu lindern (Quelle: eigene Hypothese im Experimentier- Stadium)  

Bei all den Chancen zeigt das Hexagon-Modell aber auch eines: solche Innovationen auf der rechten Seite des Modells (Business Design) müssen mit der linken Seite (Organisations-Design) zusammenpassen. Es geht also nicht nur um die strategische Frage, was für Produkte und Services wir anbieten, sondern auch wie wir sie als Organisation anbieten. New Work meets Sustainability, das Yin und Yang des neuen Wirtschaftens. Business as usual für Nachhaltigkeits-Innovationen, das wird nicht gut gehen.

Solche Schritt-für-Schritt-Taktiken brauchen allerdings Vorlaufzeit. Sonst bleibt nur noch die Radikalkur und die, das haben wir zumindest in der Medizin gelernt, funktioniert für nicht für alle. 

Apropos Vorlaufzeit: laut dem neuesten IPCC Report haben wir nur noch drei Jahre (DREI JAHRE!)  Zeit bis zum „Emission Peak“! Danach müssten wir Jahr für Jahr sieben Prozent Emissionen einsparen, um noch das 1,5 Grad Ziel erreichen zu können. Die gute Nachricht: das ist alles noch machbar, die Lösungen und Technologien dazu gibt es. Die schlechte Nachricht: wir machen es nicht (schnell genug, ergänzen die Berufsoptimisten)!

Wer also noch nicht angefangen hat, Nachhaltigkeit als Strategie für die gesamte Organisation zu implementieren, hat genau genommen noch so viel Vorlaufzeit zum „Zucchinischnippeln: keine! Deshalb werden wir nicht zu erwähnen: Nachhaltigkeit wird zum strategischen Imperativ!

P.S.: Wer es bis hierher geschafft hat und noch immer glaubt, dass Schokokuchen und Zucchini nicht zusammen passen, dem legen wir dieses Rezept ans Herz: Schoko-Zucchini-Kuchen. Kann was!

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