New Work | Führung | post-heroisches Management
Das traditionelle Modell einer Führungskraft, die nur delegiert und kontrolliert, hat ausgedient. Für die gegenwärtigen Herausforderungen brauchen wir neue, zeitgemäßere Führungsansätze (aka New Leadership). Jetzt und sofort. Denn schlechte Führung kostet – Geld, Zeit und Nerven!
Das traditionelle Führungsmodell von Befehl und Kontrolle hat – wenn es denn je wirklich nachhaltig funktioniert haben sollte – in unseren ungewissen Zeiten entscheidende Nachteile: Die Steuerung einer solcherart geführten Organisation und die Qualität der getroffenen (strategischen) Entscheidungen hängen alleine von der Intelligenz und Urteilskraft einer einzigen Person oder eines Führungszirkels ab. Und wenn diese wenigen Menschen an der Spitze schlecht performen, kann man sie austauschen und hoffen, dass es besser läuft oder man stellt das System um! Wir glauben ja, je höher der Grad an Komplexität, den eine Organisation bearbeiten muss, desto mehr verteilte Steuerung und Entscheidungskraft braucht es.
Doch wie wird man zum „new leader“? Nun, neben Kenntnissen und Kompetenz in agilen Methoden sind vor allem systemisches Grundverständnis und Selbstklärung nötig, um die Transformation vom paternalistischen Chef (oder Chefin) hin zum Ermöglicher (oder Ermöglicherin) Neuer Arbeit zu schaffen. Kurz: Es braucht eine neue Haltung für eine neue Zeit.
Die Zeit der Helden ist vorbei
Schon Mitte der 1990er Jahre stimmte der Soziologe Dirk Baecker den Abgesang auf den vornehmlich männlich geprägten Führungsstil des Einzelkämpfers an. Mit seinen Ausführungen zum postheorischen Management war es die Komplexität einer zunehmend vernetzten globalisierten Welt, die ihn ein anderes, systemisches Führungsverständnis einfordern ließ.
Ein Vierteljahrhundert, mehrere Digitalisierungswellen, Wirtschaftskrisen und eine Pandemie später ist die Notwendigkeit einer neuen Form der Führung drängender als je zuvor. Denn der Umgang mit Komplexität und der Nicht-Kontrollierbarkeit unserer Umwelten ist für viele zunächst ungewohnt und deshalb anstrengend. Verführerisch wirken da wirken die einfachen Lösungen der gegenwärtigen Populisten. Sie versprechen uns die Rückkehr in ein großartiges Gestern, das – wenn wir ehrlich sind – nie so ideal war, dass wir es wirklich wieder haben wollten.
Statt einfacher Lösungen und Ich-zeig-euch-wo-es-lang-geht-Rhetorik braucht es den Mut, sich Ungewissheit und Ambivalenz zu stellen, die Fähigkeit, mit dem Sowohl-als-auch zu arbeiten und die Demut, um aus gemachten Erfahrungen immer wieder zu lernen.
New Leadership verspricht hier Orientierung beim Driften im Unsicheren der komplexer und ambivalenter gewordenen Welt. Ähnlich wie bei New Work vereinen sich unter diesem Label eine Reihe von zunächst auch widersprüchlich klingenden Zuschreibungen: von Maximierung der Produktivität, Innovation und Autonomie der Mitarbeitenden bis hin zu Vertrauenskultur, Empathie und einer Ausrichtung an der Befähigung von Mitarbeiten.
Erst einmal heißt „neu“ ja nur, dass es anders ist als vorher. Ein bisschen konkreter darf es schon werden, deshalb hier ein paar Punkte dazu, welche neuen Qualitäten von Führung es unserer Meinung nach braucht.
Agilität als Antwort auf unsere Zeit
Digitalisierung, Globalisierung, ökologische, wirtschaftliche, politische und technische Umwälzungen — unsere Zeit ist wahrlich nicht arm an Disruptionen, die business-as-usual und den Rückgriff auf bewährte Methoden unmöglich machen. Agilität und Selbstorganisation sind in diesem Zusammenhang Schlagworte, die immer dann genannt werden, wenn es darum geht, Lösungswege aus einer nicht mehr funktionierenden Arbeits- und Führungskultur aufzuzeigen.
Verteilte Expertisen und Kompetenzen statt tayloristischer Trennung zwischen Denken (oben) und Ausführen (unten), schnelle dezentrale Entscheidungen statt langwieriger Dienstwege und ein ganzheitliches Menschenbild statt der Idee vom Mitarbeitenden als Auftragsempfänger*in sind einige der Merkmale der mit dem Prädikat „neu“ versehenen Form des Arbeitens.
Dass ein traditionsreicher Konzern wie Daimler solche Werte in seine Leadership Agenda geschrieben hat und „Schwarmintelligenz“ fördern will, zeigt, dass New Leadership durchaus im Mainstream der Wirtschaft angekommen ist.
Wofür — so fragt sich gerade mancher — braucht es überhaupt noch Führung, wenn agile Teams vom Scrum Master gecoacht werden, aber ansonsten in Eigenregie Aufträge aus dem Backlog abarbeiten?
Was für eine Führung braucht es, wenn in Zeiten von Corona die sogenannten Wissensarbeiter selbstorganisiert — und für manche unerwartet produktiv — im Home Office arbeiten? Welche Rolle spielt Führung, da die Zeiten heldenhafter Anführer*innen nun hoffentlich endgültig vorbei sind?
Agile Methoden- und Reflexionskompetenz
Das merken zunehmend auch immer mehr Branchen und Organisationen fernab von Berlin-Kreuzberger Startup-Klischees. Nutzerzentrierung, feedback-geleitete Projektentwicklung über iterative Schleifen und das Lernen an günstigen Prototypen gehören zwar noch nicht überall zum Standard, sind aber mittlerweile bereits bei vielen Autozulieferern, Lebensmittelkonzernen, Banken und Versicherungen, Krankenkassen und öffentlichen Verwaltungen angekommen.
Mit der Digitalisierung und der exponentiell steigenden Veränderungsgeschwindigkeit schrumpfen Halbwertzeiten von Informationen und Wissen dramatisch. Das einmal erworbene Fachwissen wird in immer stärkerem Maße abgelöst durch die Fähigkeit und Bereitschaft zum lebenslangen Lernen.
Das gilt erst recht für Führungskräfte. Metakognitive Kompetenzen, also die Fähigkeit, über das eigene Denken nachzudenken und dieses zu bewerten und ggf. zu verändern, gewinnen für sie wesentlich an Bedeutung.
In welchem Maße agiles Arbeiten auch ein grundsätzliches Umdenken in der Wirkung von Führung bedeutet, merken Organisationen, die sich ernsthaft in die Transformation begeben: In agilen Projekten steuert nun nicht mehr allein die Führungskraft mit ihrer fachlichen Expertise, sondern im Zweifelsfall das Nutzungsverhalten oder die kollektive Intelligenz funktionsübergreifender Teams.
Traditionellerweise mit Führungsstärke assoziierte Fähigkeiten wie Durchsetzungsfähigkeit, Entschlussfreudigkeit und Aufgabendelegation werden in dieser Umgebung dysfunktional. Hier sind andere persönliche Kompetenzen gefordert. Doch welche sind das?
Eine Frage der Haltung
Eine Antwort haben wir bei Roger M. Schwarz in einem Buch gefunden, das sich eigentlich an Facilitatoren richtet. Der englische Begriff Facilitator ist mit „Moderator“ nur unzureichend übersetzt, bedeutet er wörtlich doch so viel wie Erleichterer oder Ermöglicher.
Es gibt kaum einen besseren Begriff, um das Wesen neuer Führung auf den Punkt zu bringen. Deren wichtigste Aufgabe sehen wir darin, das Potential und die Kreativität derjenigen zum Vorschein zu bringen und zu fördern, die in unseren Organisationen ausmachen — nämlich die Mitarbeitenden.
Die von Schwarz beschriebenen Qualitäten des geschickten Facilitators lassen sich in den Dimensionen Haltung, Verhalten und Ergebnisse hervorragend auch auf Führung übertragen:
- Transparenz und Neugierde gehören als Haltung ebenso zu New Leadership wie auch das selbstkritische Hinterfragen eigener Annahmen und Überzeugungen.
- Ein offener Umgang mit Informationen, Transparenz über eigene Ziele und Intentionen sind einige der Verhaltensmerkmale, die sich u.a. in besseren Entscheidungen, mehr Innovation, eine offenere Lern- und Fehlerkultur und schließlich zufriedeneren und motivierteren Mitarbeitenden niederschlagen.
Die Komplexität im Menschen anerkennen
Hier geht es nicht mehr nur um die zu bewältigende Komplexität im Außen der Organisation — Stichwort VUCA —, sondern auch um die Komplexität der Menschen in der Organisation, die es zu führen gilt.
Immer wieder werden wir als Berater*innen gefragt, was man tun kann, um Mitarbeitende intrinsisch zu motivieren. Die Frage verrät ein Weltbild, das linearen Ursache-Wirkungen-Mechanismen folgt und diese Maschinenlogik auch auf die Steuerung von Menschen überträgt.
Menschen lassen sich nur in einem sehr begrenzten Maße etwa durch extrinsische Belohnungen zu einem vorhersehbaren Verhalten anregen. Schaffen wir hingegen ein Umfeld, in dem sie sich ihren Potenzialen und Talenten entsprechend entfalten können, motivieren sie sich selbst zum Handeln, wenn auch nicht immer in vorhersehbarer und steuerbarer Weise.
Sehr schön auf den Punkt gebracht hat den Unterschied zwischen dem Umgang mit unbelebten Objekten und lebenden Systemen Gregory Bateson. So bemerkte er, dass es zwar prinzipiell möglich sei, die Flugbahn eines Balls zu berechnen, nachdem dieser mit einer bestimmten Kraft in einem bestimmten Winkel getreten wurde. …
… Bei dem Versuch, dasselbe Verfahren bei einem Hund anzuwenden, bleibt das Ergebnis jedoch ungewiss. Wir können nicht vorab wissen, wie der Hund den Tritt verarbeitet, ob er wegläuft, uns beißt oder im Nachhinein einen unbemerkten Moment ausnutzt, um sich zu rächen.
Was für den für den Hund gilt, können wir in diesem Fall auch auf die Menschen in unseren Organisationen übertragen: Lebende Systeme verarbeiten Reize von außen eben genau so, wie sie es in ihrem jeweiligen individuellen Sein tun und nicht so, wie wir es vorab berechnen. Good-bye, command and control!
Was in der agilen Welt als Strategie für den Umgang mit Komplexität im Außen funktioniert — das schrittweise, feedbackgeleitete Vorgehen nach Build, Measure, Learn oder Hypothesen entwickeln, Testen und aus der Differenz zur Wirklichkeit lernen, hilft auch im Umgang mit unseren Mitarbeitenden.
Mit Nichtwissen und Selbstführung glänzen
Das setzt bei Führungskräften eine ganz eigene Art von Mut voraus: nämlich im Umgang mit Unsicherheit und Nichtwissen.
Beides auszuhalten und dennoch Verantwortung für sich und das eigene Handeln zu übernehmen, darin können Führungskräfte Modell sein für ihre Mitarbeitenden. Wenn sie innerlich in ihren Haltungen und Ausrichtungen klar sind, bieten sie auch anderen Orientierung, selbst dann, wenn die Lage unübersichtlich wird.
Wer mit der eigenen Selbstorganisation im Reinen ist, kann diese auch auf Team- und Organisationsebene wertschätzen und so Kreativität und Produktivität fördern. Voraussetzung dafür ist das Vertrauen, dass Mitarbeitende selbst in der Lage sind, ihre dringlichen Fragen zu lösen.
Durch authentische Beziehungsgestaltung und aufrichtige Fragen können Führungskräfte ihnen dabei helfen, Lösungen zu entwickeln, die für sie sinnvoll und praktikabel sind. Wenn sie es dann noch schaffen, klar und transparent ihre Erwartungen und Ziele zu kommunizieren, dann haben sie auf der persönlichen Ebene das erreicht, was in der Kombination mit dem Wissen um agile Methoden New Leadership ausmacht. Und so den Boden bereitet für bessere Entscheidungen, mehr Innovation, mehr Vertrauen und Zufriedenheit bei unseren Mitarbeitern.
Weitere Gedanken zum New Leadership findet ihr unserem New Leadership Handbuch: https://blog.thedarkhorse.de/das-new-leadership-handbuch
Infos zu unserer Weiterbildung zum Thema findet ihr hier:
https://www.darkhorseacademy.de/kurse/new-leadership/