Wer entscheidet hier eigentlich?

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New Leadership | Dezentrale Organisationen | New Work

Wie wir durch passende Entscheidungsformen, Selbstverantwortung und Beteiligung stärken können

tl;dr Wie trifft man eigentlich Entscheidungen in dezentralen und flachen Organisationen? Wir stellen 8 Techniken für mehr Vielfalt in der Entscheidungsfindung vor.

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Dieser Artikel ist Teil des New Leadership Handbuchs, einer Übersicht über alle wichtigen Themen rund um New Leadership.

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Entscheidungen gehören zu den zentralen Ereignissen in Organisationen. Durch Entscheidungen werden Prozesse angestoßen, Richtungen vorgegeben, Optionen zugunsten anderer verworfen und Handlungsspielräume eröffnet oder begrenzt. Werden Entscheidungen nicht getroffen oder immer wieder vertagt, bildet sich das berühmte „Bottle-neck“ und Führung wird zum Hindernis anstatt zum Enabler.

Viele der aktuellen Entscheidungsstrukturen sind unterkomplex

In klassischen Hierarchien gibt es eine Art Arbeitsteilung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, bei der die Ergebnisse von Entscheidungen als Aufgaben an die Mitarbeiter delegiert werden, während diese die Verantwortung für die Folgen der Entscheidung nach oben an die Führungskraft abgeben.

Diese Form der hierarchischen Delegation hat in komplexen Umwelten den Nachteil, dass die Grundlage für die Entscheidung eine verhältnismäßig geringere Komplexität aufweist.

Frei nach W. Ross Ashby fehlt in Organisationen mit starker zentralisierter Entscheidungsautorität die erforderliche Vielfalt, um die Vielfalt der VUCA-Welt angemessen zu bearbeiten.

Entscheidung

Entscheidungen zwischen Beteiligung und Zustimmung

Wir möchten euch im Folgenden eine Reihe von alternativen Verfahren vorstellen, die es euch ermöglichen, anlassbezogen zu wählen, wie ihr als Führungskräfte zu einer Entscheidung kommt.

Voneinander abgrenzen lassen sich diese Verfahren in Bezug auf die Dimensionen Beteiligung und Zustimmung der jeweils Betroffenen, wobei der Konsens in beiden Dimensionen einen hohen Wert aufweist, während bei der Anordnung der Grad an Beteiligung und Zustimmung am niedrigsten ist.

Entscheidungsmatrix
Entscheidungsmatrix: Sortierung von Entscheidunsformen nach Zustimmung und Beteiligung.

1. Anordnung

Bloß weil sie einen geringen Grad an Beteiligung und Zustimmung aufweisen, sind Anordnungen nicht notwendig schlecht oder falsch. Gerade in Gefahrensituationen, wenn es auf schnelle Entscheidungen ankommt, haben Anordnungen den unschätzbaren Vorteil der Geschwindigkeit.

Wenn das Haus brennt, macht es keinen Sinnen, dass die Feuerwehrleute anfangen zu debattieren, wie denn am besten gelöscht werden könnte.

2. Expertenentscheidungen und Mandatierungen

Verwandt mit den Anordnungen sind die Expertenentscheidungen, von denen wir in der Covid-19-Pandemie einige erlebt haben. Hier wird die Entscheidung über eine Vorgehensweise an Personen delegiert, die für die betreffende Situationen ein besonderes Fachwissen vorweisen können. Sie übernehmen die inhaltliche Evaluation der Situation und geben Empfehlungen ab, die dann von Entscheidern legitimiert werden.

Diese Form der Entscheidung bietet sich insbesondere bei Fragen an, bei denen die inhaltliche Seite eine hohe Komplexität aufweist, die durch Fachexpertise so weit bewertet und reduziert werden muss, dass sie politisch entscheidbar wird.

Damit vVerwandt ist die Mandatierung, wobei hier ausschlaggebend ist, wie diese zustande kommt — durch Anordnung Einzelner oder eine Wahl.

3. Konsultativer Einzelentscheid

Eine insbesondere mit Frederic Laloux’ Reiventing Organiszations bekannt gewordene Form der Entscheidung ist der Advice Process oder konsultative Einzelentscheid. Dieser wird bspw. bei dem US-Amerikanischen Tomatenverarbeiter Morning Star eingesetzt.

Jeder Mitarbeiter:in entscheidet hier selbst z.B. über Investitionen in ihrem oder seinen Arbeitsbereich. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie oder er zuvor zwei bis drei Kolleg:innen konsultiert, die von der Maßnahme unmittelbar oder mittelbar betroffen sind.

4. Mehrheitsentscheid

Der Mehrheitsentscheid ist der in demokratischen Systemen am weitesten verbreitete Modus. Unterschieden wird hier in der Regel zwischen einfachen Mehrheiten (also die meisten Stimmen) und qualifizierten Mehrheiten, wie z.B. der für Verfassungsänderungen erforderlichen Zweidrittelmehrheiten.

Welche Nachteile einfache Mehrheiten haben können, haben wir in den letzten Jahren bei einer Reihe äußerst knapp ausgegangener politischer Entscheidungen, wie den US-Wahlen 2016 oder dem Brexit-Votum im selben Jahr erlebt. Zwar gibt es hier ein Ergebnis. Die Masse der Überstimmten ist aber mehr als signifikant und entsprechende gesellschaftliche Polarisierungen die Folge.

5. Konsens

Die bekannteste Möglichkeit, alle bei einer Entscheidung mit ins Boot zu holen, ist der Konsens. Hier gilt ein Vorschlag als beschlossen, wenn ihm alle Beteiligten zugestimmt haben.
Diese einstimmige Beschlussform birgt allerdings die Gefahr, dass Diskussionen über die richtige Entscheidung sehr langwierig werden können. Moderationsverfahren, wie die Konsensleiter, können diesen Prozess beschleunigen.

6. Konsent

Demgegenüber dreht der soziokratische Konsent die Entscheidungslogik um. Damit ein Vorschlag durchkommt, müssen ihm nicht alle zustimmen, es reicht, dass es keinen schwerwiegenden Einwand dagegen gibt.

Der schwerwiegende Einwand wirkt wie eine Art Notbremse, der von jeder und jedem Beteiligten gezogen werden kann, wenn ein Vorschlag ihrer oder seiner Ansicht nach die beiden Kriterien für pragmatische Konsententscheidungen nicht erfüllt:

  1. Good enough for now (d.h. wir können damit erst einmal weiterarbeiten)
  2. Safe enough to try (wir können das ausprobieren, ohne dass wir unsere Organisation oder andere gefährden.)

Der Vorteil beim Konsent besteht darin, dass bei Entscheidungen das Wissen und die Urteilskraft aller einbezogen wird, um potentiell schädliche oder unweise Entscheidungen zu verhindern.

7. Disagree and Commit

Eine ähnliche Logik nutzt das Disagree and Commit. Auch hier bekommen alle Beteiligten die Möglichkeit, ihre Meinungen, Gegenvorschläge und Bedenken zum Ausdruck zu bringen.

Die letztendliche Entscheidung bleibt jedoch bei der Führungskraft. Wenn meine Meinung als Mitarbeiter gehört und ggf. berücksichtigt wurde, kann ich noch anderer Meinung sein, aber ich trage am Ende dennoch die Entscheidung meiner Führungskraft mit.

Der Amazon Chef Jeff Bezos hat das Disagree and Commit sogar zum Leadership Prinzip seiner Organisation erhoben und erwartet explizit sowohl, dass Entscheidungen in Frage gestellt werden wie auch, dass einmal gefallene Entscheidungen vollen und ganzen Rückhalt finden.

8. Widerstandsabfrage oder Systemisches Konsensieren

Das systemische Konsensieren schließlich ist eine Art Hybrid zwischen dem Konsens und dem Konsent. Denn es wird aus einer Reihe von Vorschlägen derjenige ausgewählt, der bei den Beteiligten den geringsten Widerstand auslöst. Hier geht es nicht immer nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Da alle ihre Vorschläge einbringen können, eröffnen sich hierbei Optionen, die in anderen Verfahren gar nicht auf den Tisch gekommen wären.

Anlassbezogen wählen

Unterschiedliche Entscheidungsformen für unterschiedliche Ergebnisse durch unterschiedliche starke Einbindung der Beteiligten. Unsere beiden Dimensionen Zustimmung und Beteiligung implizieren noch eine weitere: Nämlich die der Verantwortung.

Entscheidungsmatrix, konzentrierte und verteilte Verantwortung

Während bei Anordnung und konsultativem Einzelentscheid die Verantwortung in den Händen weniger verbleibt, wird bei den Verfahren im oberen rechten Quadranten die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt.

Auf dem Weg zu mehr Selbstorganisation und Selbstverantwortung bei den Mitarbeitern können Führungskräfte ihre Mitarbeiter stärken, indem sie ihre Beteiligung an Entscheidungen stärken. Dies hat zwei Vorteile:

  1. mehr Partizipation schafft mehr Verantwortung und Identifikation mit der eigenen Arbeit,
  2. es wird schwerer, in der Organisation getroffene Entscheidungen zu sabotieren, wenn ich selbst an ihnen beteiligt war.

Auf der anderen Seite gibt es rechtliche Rahmenbedingungen, etwa bei Gesellschafterbeschlüssen oder Betriebsratswahlen, bei denen bestimmte Entscheidungsmodi vorgegeben sind.

Doch auch hier gibt es Möglichkeiten die Entscheidungsfindung im Vorfeld durch stärkere Beteiligung anzureichern. Wenn ihr einmal in eurem Umfeld diskutieren möchtet, welche Entscheidungsform für welchen Anlass geeignet ist, empfehlen wir euch unseren Entscheidungspoker.

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