Führung | post-heroisches Management
tl;dr: Führung und Liebe – zwei Begriffe, die selten im selben Satz auftauchen. Die Vorstellung, man könne Menschen im Modus der Liebe führen, wirkt auf den ersten Blick naiv oder gar esoterisch, auf den zweiten Blick fühlt man sich unangenehm an das übergriffige Verhalten mancher Chefs erinnert. Doch wer sich intensiver mit den Ideen des chilenischen Biologen und Philosophen Humberto Maturana beschäftigt, stößt auf einen radikalen Denkansatz: Liebe ist keine romantische Gefühlsregung, sondern ein biologisch-kulturelles Grundprinzip für gelingende Beziehungen und damit auch für gelingende Führung relevant.
Was hat Führung mit Liebe zu tun?
Humberto Maturana versteht Liebe nicht als Gefühl, sondern als Verhalten. Genauer: als eine Haltung, in der ich das Gegenüber in seiner Eigenart und Legitimität anerkenne, ohne es verändern zu wollen. Liebe, so Maturana, ist die Basis für jedes soziale Miteinander, das auf Entwicklung und nicht auf Kontrolle abzielt. Sie ist die Bedingung dafür, dass Koordination und gemeinsames Handeln überhaupt möglich werden.
In diesem Sinne ist Liebe eine Haltung, die gerade in Führungskontexten hochgradig relevant ist – insbesondere dort, wo Führung nicht mehr durch Macht, sondern durch Beziehung, Vertrauen und Selbstorganisation geprägt ist. Denn wo Menschen nicht mehr einfach nur Anweisungen befolgen, sondern Verantwortung übernehmen, ist gegenseitige Anerkennung die Grundlage für Wirksamkeit.
Die Organisation als Beziehungssystem
Zentral für Maturanas Denken ist das von ihm zusammen mit Francisco Varela entwickelte Konzept der Autopoiesis: Biologische Systeme (damit auch Menschen) organisieren sich selbst. Sie sind operativ geschlossen, d. h. sie lassen sich nicht direkt von außen steuern. Was in einem System geschieht, wird ausschließlich aus dessen eigener Struktur und Logik heraus erzeugt.
Für Führung bedeutet das: Ich kann andere Menschen nicht „verändern“. Ich kann nur Bedingungen gestalten, unter denen sie selbst in Resonanz mit sich und ihrer Umwelt treten – oder eben nicht.Maturana spricht hier von struktureller Kopplung: Systeme stehen in Wechselwirkung, beeinflussen sich, bleiben aber autonom. Jede Form von Führung, Beratung oder Intervention muss diese Autonomie respektieren, wenn sie wirksam sein will. Das bedeutet insbesondere für Führung: Ich muss aufhören, andere als Objekte meines Handelns zu sehen.
Wertschätzendes Zuhören statt besserer Tipps
Gemeinsam mit Ximena Dávila hat Maturana das Konzept der „befreienden Gespräche“ entwickelt: Eine Form der Beziehungsgestaltung, die auf der wechselseitigen Anerkennung von Subjektivität beruht. Es geht nicht darum, anderen zu sagen, was sie tun sollen – sondern ihnen zu begegnen, zuzuhören, Räume für Entwicklung zu öffnen.
In diesen Gesprächen geht es um einen emotionalen Modus des Liebens, nicht des Bewertens. Um Zuhören, das den Anderen nicht analysiert, sondern ihn in seiner Welt lässt. Um ein Sprechen, das nicht reparieren will, sondern ermöglicht. Der Respekt vor der Eigenlogik des Anderen ist dabei keine Methode, sondern Haltung.
In der Führung bedeutet das: Keine Tools, keine Tricks, keine Steuerungstechnik kann echte Beziehung ersetzen. Es braucht ein anderes Zuhören. Ein anderes Fragen. Und ein radikales Vertrauen in die Entwicklungskraft derjenigen, mit denen ich arbeite.
Was heißt das für Führung konkret?
Führung im Modus der Liebe bedeutet:
- Legitimität anerkennen: Ich muss nicht zustimmen, aber ich erkenne an, dass die Sicht des Anderen für ihn oder sie Sinn macht.
- Nicht analysieren, sondern verstehen: Ich muss mich nicht klüger machen als die andere Person, sondern mich ihr zuwenden.
- Beziehung vor Funktion: Bevor ich Menschen in Rollen betrachte, betrachte ich sie als Subjekte.
- Zuhören als Kernkompetenz: Nicht zur Bestätigung meiner Sicht, sondern zur Erweiterung meines Horizonts und um Räume für Entwicklung zu eröffnen.
- Machtverzicht als Entwicklungsmotor: Nicht durch Kontrolle entsteht Entwicklung, sondern durch Vertrauen.
Das klingt einfach. Ist es aber nicht. Denn diese Haltung stellt viele etablierte Vorstellungen von Führung auf den Kopf. Sie verlangt Selbstreflexion. Und sie ist nicht überall, aber dort anschlussfähig, wo sich für uns wünschenswerte Zukünfte entwickeln.
Zwischen Anspruch und Alltag
Natürlich bleibt die Frage: Ist das realistisch? Wie oft gelingt es, im hektischen Alltag, im Konflikt, im Machtspiel auf diese Haltung zurückzugreifen? Maturana selbst war kein Utopist. Er wusste um die Mühsamkeit menschlicher Kommunikation. Aber er blieb dabei: Der Modus des Liebens ist nicht naiv. Er ist radikal.
Radikal in seiner Konsequenz. Und in seiner Einfachheit. Wer im Anderen nicht mehr das Objekt eigener Zwecke sieht, öffnet die Möglichkeit für echte Beziehung. Und damit für Entwicklung.
Es geht bestimmt auch anders, aber so könnte es gehen?
Weitere Gedanken zum New Leadership findet ihr unserem New Leadership Handbuch: https://blog.thedarkhorse.de/das-new-leadership-handbuch
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