Warum wir endlich über Entlohnung sprechen müssen

Rettungsschwimmerinnen vor blauem Hintergrund

Ein Gastbeitrag von Nadine Nobile (CO:X / New Pay Collective)

Es gibt wenige Fragen, mit denen man Menschen im deutschsprachigen Raum so schnell in Verlegenheit bringen kann, wie mit der Frage nach dem Gehalt. Und es gibt wenige Themen im Businesskontext, die als so privat, gar intim betrachtet werden. Dabei handelt es sich meistens lediglich um vier Ziffern. Doch egal wie die jeweilige Zahlenkombination auch ist, es sind stets Zahlen mit Sprengkraft. Einer Sprengkraft, die es zu entschärfen gilt, wenn wir Zusammenarbeit kooperativ gestalten wollen.

Wann hast du dich das letzte Mal mit deinem Gehalt auseinandergesetzt? Bei deinem letzten Jahresgespräch oder im Zuge der letzten Bewerbung? Vielleicht beim Blick auf deine Gehaltsabrechnung? Mit welchen Bildern waren diese Gedanken verbunden? Sind es eher positive – dann: Glückwunsch! Du gehörst zu einer glücklichen Minderheit. Zumindest in unserem Kulturkreis. Lehn‘ dich zurück, klicke weiter und erfreu‘ dich deines (Arbeits-)Lebens.

Sind deine Gedanken eher ambivalent oder sind sie sogar negativ konnotiert? Dann keine Sorge. Denn erstens: Du bist in guter Gesellschaft. Und zweitens: Das muss nicht für immer so sein.

Vor allem SOLLTE es nicht für immer so bleiben. Denn die Entlohnung setzt einen solch bedeutsamen Rahmen für unser Leben und für unsere Zusammenarbeit in Organisationen, dass wir uns ihrer Wirkung nicht nur bewusst werden sollten, sondern uns vor allem die Frage stellen müssen: Ja, wie wollen wir es denn in Zukunft haben?

Baywatch meets New Pay

Photo: Margarida CSilva on Unsplash

Wenn ich Menschen von dem Konzept New Pay erzähle und sie in meine Gedankenwelt einlade, starte ich mit folgendem Bild: Es zeigt eine Gruppe von Rettungsschwimmer*innen, die an einem Strand stehen. Es scheint so, als wären sie zusammengekommen, um in den Tag bzw. in ihre Schicht zu starten, um dabei wichtige Informationen auszutauschen und Strandabschnitte genauso wie Sonderaufgaben untereinander aufzuteilen.

Sie stehen im Kreis. Es ist nicht erkennbar, ob es eine*n Chef*in im Ring gibt. Die Gruppe richtet sich auf die beiden Personen aus, die gerade zu sprechen scheinen.

Nach einem kurzen Blick auf das Bild lautet meine Frage stets: Wie teilt eine solche Gruppe ihren Gehaltstopf auf? Ein Team, das sich einer gemeinsamen Mission und Aufgabe verschrieben hat, und bei denen jede Person die vollumfängliche Verantwortung für den eigenen Einsatzbereich übernimmt.

Wie sieht für eine solche Gruppe ein stimmiger Gehaltsprozess aus? Wer ist dabei involviert? Wer kann überhaupt entscheiden, wie ein stimmiger Prozess für diese Gruppe aussieht und welche Kriterien Berücksichtigung finden sollten?

In einer Welt, in der wir auf Kooperation und Kollaboration angewiesen sind, ist es geradezu eine Notwendigkeit, die Basis für ein faires Miteinander bewusst und partizipativ zu gestalten.

Fair oder unfair – das ist hier die Frage!

Two Monkeys Were Paid Unequally: Excerpt from Frans de Waal’s TED Talk

Welche Auswirkungen es haben kann, wenn ein Individuum offensichtlich unfair behandelt wird, zeigt dieses Video sehr anschaulich. Vor allem zeigt es, fair behandelt werden zu wollen, ist etwas, das tief in unserer DNA verwurzelt ist. Sichert es doch ab, dass wir ein ebenbürtiges Mitglied unserer Bezugsgruppe sind und nicht Gefahr laufen, ausgeschlossen zu werden.

Zurück zu unseren Rettungsschwimmer*innen: Egal in welchem Kontext oder welchem Personenkreis ich die Frage „Wer kann und sollte für diese Gruppe entscheiden, wie der Gehaltstopf aufgeteilt wird?“ gestellt habe, ich habe noch nie die Antwort erhalten: „Das macht am besten die Verwaltung!“ Oder besser noch: „Ein*e Berater*in von außen“.

Stattdessen erhalte ich stets die gleiche Antwort: Es sollten die Menschen entscheiden, die auf dem Bild zusammenkommen. Diejenigen, die tagtäglich miteinander zu tun haben, die miteinander in Beziehung stehen, die den Beitrag der verschiedenen Personen einschätzen können, diejenigen sollten miteinander den Prozess vereinbaren und Entscheidungen treffen.

Welche Kriterien sind für diese Gruppe relevant? Welche Kolleg*innen, sind besonders vielfältig einsetzbar? Wer mutet sich die besonders anspruchsvolle oder gefährliche Strandabschnitte zu? Welche Personen tragen in besonderer Weise zum Gelingen des Teams bei?

Gefangen im Patriachat

Photo by chloe s. on Unsplash

Die Realität sieht jedoch auch heute noch in vielen Organisationen anders aus. Selbst in vermeintlichen selbstorganisierten Teams tun sich Menschen (noch) schwer, ihr Gehaltssystem als Ganzes wie auch die Gehaltsprozesse partizipativ auf Augenhöhe zu gestalten. Sie sind immer noch gefangen im Patriachat, indem Entscheidungen über die Köpfe von Menschen und Teams hinweg getroffen werden – und nicht mit ihnen.

Dieses Patriachat wird dabei nicht nur von den Entscheidungsträger*innen aufrecht erhalten. Auch die, über die entschieden wird, geben die Verantwortung gerne (noch) ab. Und sagen: „Ach, das will ich gar nicht entscheiden.“

Was oft fehlt, ist entweder eine Idee davon, wie es anders gehen könnte. Oder aber es dominiert die Angst, dass sich über den Einstieg in das Thema die Büchse der Pandorra öffnet und das, was durch das Öffnen ausgelöst wird, nicht mehr eingefangen werden kann.

Das müssen andere tun

Dabei führt der Kulturbruch (der dadurch entsteht, dass beim Thema Gehalt von oben nach unten durchregiert wird) für alle Beteiligten viel zu oft zu einem anhaltenden Störgefühl. Für die, die entscheiden, und genauso für die, über die entschieden wird.

„Ich will und kann das gar nicht mehr entscheiden, wer mehr verdient hat“, sagte mir erst kürzlich eine*r unserer Kund*innen mit einem Team von rund 40 IT-Spezialist*innen. „Ich bin viel zu weit weg und kann gar nicht mehr einschätzen, wer welchen Beitrag im Verhältnis zu anderen leistet.“

Wer trotz fehlender Informationen dann dennoch entscheidet, riskiert Vertrauensverlust – manchmal sogar Vertrauensbruch. Da heißt es dann, der Nasenfaktor hätte entschieden. Es profitieren diejenigen, die besonders selbstbewusst, sichtbar, laut oder sogar dreist vorgehen.

Fehlender Dialog und fehlende Transparenz auf beiden Seiten erschüttern Vertrauen und sorgen allzu oft für Enttäuschungen. Und da über Gehalt nicht gesprochen wird, werden dann auch diese Konflikte nicht mehr ausgeräumt.

Die Sache mit den Stellvertreterkonflikten

Ich bin jedoch davon überzeugt: Es sich lohnt Konflikte zu suchen! Nicht der Konflikte wegen, sondern weil die Konflikte uns aufzeigen, wo Handlungs- oder Entwicklungsbedarfe liegen. Denn das Gehalt ist ein hervorragender Kristallisationspunkt für Spannungen. Das Problem dabei ist, dass dabei viel zu oft Stellvertreterkonflikte geführt werden.

Photo by Andre Hunter on Unsplash

Man kann sich hervorragend übers Geld streiten, doch solange kein wirklicher Dialog stattfindet, ist unklar, ob es wirklich ums Geld, den Gehaltsprozess oder nicht doch um mangelnde Wertschätzung oder andere Enttäuschungen geht, die man nun übers Gehalt kompensiert haben möchte. Auch Wertediskussionen werden oft über Budget- oder Gehaltsfragen ausgetragen, ohne dabei je zum Pudelskern des Konflikts vorzudringen.

Auch auf der individuellen Ebene manifestieren sich offene Schmerzpunkte gern am Gehalt. Zu hoher oder falscher Arbeitsload, aufreibende Prozesse, mangelnde Sichtbarkeit und Wertschätzung, fehlende (Entwicklungs-)Perspektiven oder auch das „Nicht-Erleben“ der eigenen Selbstwirksamkeit drücken sich allzu oft durch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Gehalt aus. Doch was da kompensiert werden will, ist nicht die Arbeitsleistung, die Arbeitszeit oder das Arbeitsergebnis, sondern viel mehr der Schmerz, den man erduldet oder auch ertragen muss.

Das Problem mit Schmerzensgeld ist nur, dass der Schmerz davon nicht weg geht, die Wirkung der Gehaltserhöhung hingegen sehr schnell verpufft. Konflikte mit dem Gehalt bieten also die Möglichkeit an schwelenden, grundsätzlichen Fragestellungen zu arbeiten, die auf Dauer die beteiligten Personen entlasten.

Viva la evolución!

Also, was ist zu tun? Wie lauten die erste Schritte auf dem Weg zu „New Pay“. Die besten Entdeckungsreisen beginnen mit guten Fragen! Beim Blick auf die Weiterentwicklung von Organisationen sollten wir uns stets fragen:

Warum sollte sich etwas verändern? Welches Problem soll gelöst werden? Welche Situation in der Zukunft wollen wir erreichen? Welcher Möglichkeitsraum soll sich öffnen?

Wer mehr über die einzelnen Stationen erfahren möchte, dem gibt der Blogbeitrag „New Pay – oder wie Organisationen zu einem neuen Vergütungssystem finden“ einen Überblick.

Und bevor du gleich losstürmst: Versuche erst mal eine Evolution anzustoßen, bevor du gleich eine Revolution anzettelst.

Mit 7-Dimensionen-Stiefeln in die Zukunft

Es geht nicht darum, jetzt irgendetwas Hippes oder Schickes zu tun – sondern das, was hilft und wirkt, zu entdecken. Deswegen rate ich dir auch dringend ab, „schnell mal“ Gehälter transparent zu machen. Die Frage, die vielmehr beantwortet werden sollte, ist: Über was soll Transparenz hergestellt werden und wofür?

Das Ziel jeder Organisation sollte es sein, dass Mitarbeitende nachvollziehen können, wie sich ein Gehalt bestimmt und entwickelt. Also Prozess- und Kriterientransparenz. Idealerweise gibt es auch ein Verständnis darüber, warum die Dinge sind, wie sie sind, und welche Entscheidungen Jahr für Jahr entschieden werden und wieso die jeweiligen Antworten ausfallen, wie sie ausfallen?

Bei der Partizipation steht die Frage im Raum, wie Menschen beteiligt werden – sei es bei der Entwicklung oder im Gehaltsprozess selbst. Zurück zu den Rettungsschwimmer*innen: Hier kann dies beispielsweise bedeuten, dass nicht jede*r im Team sich in Zukunft um einen imaginären Gehaltstopf scharrt und mitentscheidet, wie der Gehaltstopf konkret aufgeteilt wird. Was jedoch immer bedeutsamer wird, ist, dass es partizipative Prozesse gibt, die dafür sorgen, dass verschiedenste Perspektiven und Blickwinkel einbezogen werden.

Mein Team und ich arbeiten beispielsweise sehr oft mit divers besetzten Freiwilligenteams aus der Organisation, wenn wir Unternehmen dabei begleiten an ihrem New-Pay-Gehaltssystem zu arbeiten.

Hier gibt es so viele unterschiedliche Möglichkeiten Partizipation auszugestalten, wie es verschiedene Unternehmen gibt. Die Frage ist also, wie sieht eine stimmige und zielführende Mitwirkung von Mitarbeitenden in diesem Fall aus?

Weitere Bezugspunkte der Betrachtung sind Wir-Denken, Flexibilität, Selbstverantwortung, Permanent Beta:
Beim Wir-Denken geht es darum Verbundenheit und Resonanz zu erzeugen. Die Ausrichtung des Gehaltssystems an den (gelebten) Werten wird zum Schlüsselaspekt bei der Reflexion und Weiterentwicklung. Durch bewusste Einbeziehung von Flexibilität und Selbstverantwortung kann den sich immer schneller verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden, genauso wie den Bedarfen auf Mitarbeitendenseite.

Und mit einem Permanent-Beta-Verständnis stellen wir sicher, dass wir kontinuierlich das Gehaltsystem in den Blick nehmen und auf seine Funktions- und Wirkweise überprüfen.

Diese differenzierte Betrachtung stärkt das Vertrauen aller Beteiligten darin, dass das Gehaltssystem für faire Gehälter und damit auch für ein faires Miteinander sorgen will. Und genau darum wird es in Zukunft immer wieder gehen. Nicht nur zu überprüfen, wie wir effektiver, kreativer und wirksamer unsere (Zusammen-)Arbeit gestalten. Sondern welchen Rahmen wir für diese (Zusammen-)Arbeit legen.


Wer mehr über die 7-Dimensionen erfahren möchte, findet in unserem New Pay Report eine ausführlichere Darstellung und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Prinzipien und ihrer Relevanz für Entlohnungsfragen.

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