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Decision Engineering: Wie wir den Mehrwert neuer Trends besser einschätzen
Ein Gastbeitrag von Dr. Niklas Keller
Beim Einschätzen neuer Trends und Technologien befinden sich Führungskräfte oft in einer Zwickmühle. Zu Beginn einer neuen Technologie ist meist unklar, wie groß ihr Nutzen für das eigene Unternehmen wirklich sein wird. Das zeigt sich momentan wieder einmal deutlich am Beispiel der Künstlichen Intelligenz.
Müssen wir deshalb jetzt alle Tech-Experten werden? Nein. Eine kritische Betrachtung der eigenen Entscheidungsumwelt hilft uns dabei, den zukünftigen Mehrwert neuer Technologien und Arbeitsmethoden besser einschätzen.
Mal angenommen, eine Führungskraft entscheidet sich dazu, einem Trend zu folgen. Nach einer Weile stellt sie fest, dass die neue Technologie nicht die erhofften Mehrwerte bringt. Nun hat sie eine schlechte Investition getätigt und bleibt darüber hinaus noch auf Opportunitätskosten sitzen.
Folgt sie dem Trend allerdings nicht und es ergibt sich im Verlauf doch ein Mehrwert für die Branche, läuft sie Gefahr, Marktanteile zu verlieren. Oder im schlimmsten Fall gänzlich aus dem Markt gedrängt zu werden. Eine unangenehme Situation.
Das Schauspiel wiederholt sich aktuell mit der generativen (erzeugenden) KI. Nachdem die prädiktive (voraussagende) KI bereits seit einigen Jahren einen kleinen Winterschlaf der enttäuschten Hoffnungen schlummert, haben sich die Investitionen in das „New Kid on the Block“, die generative KI (GenAI), im letzten Jahr mehr als verachtfacht. Doch auch deren Verheißungen werden bereits angezweifelt. Ist der Hype schon wieder vorbei, bevor er überhaupt richtig begonnen hat? Und wieso scheinen Technologien immer denselben Zyklus, den sogenannten Gartner-Hype-Cycle, zu durchlaufen?
Wie wir Trends wahrnehmen: Der Hype-Zyklus
Der Hype-Zyklus, auch Gartner-Hype-Cycle genannt, stellt dar, welche Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit eine neue Technologie bei deren Einführung durchläuft. Der Begriff wurde von der Gartner-Beraterin Jackie Fenn geprägt und dient heute Technologieberatern zur Bewertung in der Einführung neuer Technologien.
Man muss dazu sagen, dass der Gartner-Hype-Cycle nicht die tatsächliche Entwicklung von neuen Technologien oder Arbeitsweisen beschreibt, sondern unsere Erwartungen an sie. Woran liegt es also, dass unsere Erwartungen scheinbar immer diesem Muster folgen? Und was heißt das im Kontext der prädiktiven oder generativen KI?
Was wir zu wissen glauben: Der Dunning-Kruger-Effekt
Als Organisationspsychologe sehe ich im Gartner-Hype-Cycle auch immer ein bisschen den Dunning-Kruger-Effekt. Dieser Effekt beschreibt die Dynamik der Kompetenzentwicklung und vor allem den Effekt der Selbstüberschätzung einer Person mit geringer Kompetenz in einer bestimmten Domäne. Fehlt jemandem die inhaltliche Kompetenz in einem Bereich, kann er auch nicht die eigene Kompetenz akkurat einschätzen.
Auch über die rein optische Ähnlichkeit der Kurven hinaus weist der Dunning-Kruger-Effekt große Parallelen zum Gartner-Hype-Cycle auf. Kompetenz auf neue Technologien übertragen bedeutet, zu wissen, wie und wofür man sie effektiv einsetzen kann. Am Anfang einer neuen Technologie ist das noch schwer zu bestimmen – es fehlt die Möglichkeit, Kompetenz in der Anwendung zu erlangen. Da Limitationen und Voraussetzungen noch nicht erkundet worden sind, fallen erst einmal die allgegenwärtigen Anwendungsfälle ins Auge. Die Meinungsführer dieser neuen Technologien dabei meist diejenigen, die den geringsten Anreiz haben, dessen Anwendungsmöglichkeiten kleinzureden: nämlich die Entwickler und Venture Capitalists, die hinter der neuen Technologie stehen.
So werden viele Hypes um neue Technologien zunächst von den wenigen befeuert, die sich wirklich damit auskennen. Dabei entstehen bisweilen die wildesten Utopien. Nur schrittweise, durch die steigende Auseinandersetzung mit der neuen Technologie, erkennt der Markt dessen Schwächen und Limitationen (i.e., man wird Technologie-kompetenter) und der Hype bricht zusammen (oft sogar stärker als tatsächlich notwendig). Aber ist man verdammt, mit jedem neuen Hype diese Achterbahnfahrt mitzumachen? Oder muss man immer teure Experten bezahlen, die dies (und dann oft auch nur bedingt und ohne Gewähr) für einen tun? Nein!
Trends richtig einschätzen mit dem richtigen Werkzeug
Eine zentrale Fähigkeit einer entscheidungskompetenten Führungskraft ist, zu wissen, mit welchen Werkzeugen sich welche Probleme lösen lassen. Allein einschätzen zu können, ob und wann der Einsatz einer neuen Technologie wahrscheinlich einen Mehrwert für die firmen- oder teameigenen Aufgaben oder Problemstellungen erzielen wird, ist oft mehr als die halbe Miete.
Die gute Nachricht ist: Niemand muss ein allwissender Tech-Experte werden, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Eine kritische Betrachtung der eigenen Entscheidungsumwelt (in welcher die KI unterstützen soll) reicht oft aus, um die Sinnhaftigkeit oder den zukünftigen Mehrwert neuer Technologien und Arbeitsmethoden grob einschätzen zu können.
Kernelement einer solchen Betrachtung ist eine kritische Reflexion der Entscheidungsumwelt.
Szenario 1: Kalkulierbare Risiken
Existiert in unserer Umwelt eine Fülle an Daten? Herrscht ein gutes Verständnis relevanter Dynamiken und ein stabiles Marktumfeld?
In diesem Fall lassen sich sehr komplexe, datenintensive, strukturierte und optimierende Ansätze verwenden.
Szenario 2: Nicht-kalkulierbare Unsicherheit
Haben wir es mit Datenarmut bzw. einer geringen Datenqualität zu tun? Liegt ein unvollständiges Verständnis der Dynamiken in einem Markt vor oder eine geringe Stabilität durch hohe Marktdynamik?
In so einer ungewissen und dynamischen Umwelt braucht es einfache und robuste Prozesse, die organisationales Lernen fördern und die Agilität des Unternehmens in diesen Bereichen erhöhen, um sich der Dynamik anpassen zu können.
Mit dieser Vorgehensweise lassen sich vielversprechende Technologien früher identifizieren. So können Entscheider nicht nur mit einem höheren Einsatz in einen Trend einsteigen. Gleichzeitig bremst diese Fähigkeit bei den irrelevanten Trends den Fall ins Tal der Enttäuschung und spart somit einiges an Lehrgeld.
Decision Engineering – Robuste Entscheidungslogiken für eine unsichere Welt
Wer nachhaltig lernen will, wie genau man die eigene Entscheidungsumwelt strukturiert reflektiert, um darauf aufbauend adaptive und robuste Entscheidungslogiken für schwierige Entscheidungsprobleme in der eigenen Organisation zu entwickeln, dem sei unser zweitägiges Training in der Dark Horse Academy ans Herz gelegt.
Wer zwei Stunden Zeit im Gepäck hat, erfährt Näheres in diesem Vortrag zum Thema KI und Entscheidungsfindung, in dem ich auch die gesellschaftlichen Gefahren und politischen Konsequenzen der neuen Technologien beleuchte.