In unserer zweiteiligen Artikelreihe Strategiearbeit im öffentlichen Sektor werfen wir einen Blick auf kommunale Verwaltungen und andere öffentliche Institutionen. Dafür lassen wir Expert*innen aus dem Bereich sprechen und teilen auch Erfahrungen aus unserer eigenen Arbeit.
In diesem Artikel erzählt Karoline Mikus, wie ein kleines Referat der Stadt Wolfsburg das Strategie-Hexagon nutzte, um sich Orientierung zu verschaffen.

Karoline ist Facilitatorin und Prozessbegleiterin und war bis Ende 2024 im Referat für Strategisches Bildungsmanagement der Stadt Wolfsburg tätig. Neben ihrer Rolle in der öffentlichen Verwaltung ist sie als Freelancerin aktiv und bringt frischen Wind in den öffentlichen Sektor sowie den Non-Profit-Bereich.

Und eines Tages war es raus: „Wir haben einfach keine Strategie!“ Ja, ich habe es ausgesprochen. Das strategische Bildungsmanagement ohne Strategie – klingt paradox, oder? Aber genau so fühlte es sich für mich an. Meine Diagnose: Früher haben uns die Fördermittel des Bundes wie ein unsichtbarer Kompass durch den Alltag geführt. Doch jetzt, ohne diese Leitplanken, standen wir plötzlich da – flexibel, ja, aber auch irgendwie ohne Orientierung. Dabei ist das Bildungsbüro der Stadt Wolfsburg eigentlich genau dafür da: Bildung strategisch zu denken, zu koordinieren, zu vernetzen und Impulse zu setzen – von der formalen Bildung bis hin zum lebenslangen Lernen. Doch in diesem Moment waren wir mehr Feuerwehr als Navigator: schnell, reaktiv, immer bereit. Aber ohne langfristigen Plan.
Dabei tut es nicht nur der Organisation, sondern auch uns als Team gut, einen strategischen Rahmen zu haben. Einen klaren Kompass, der uns Orientierung gibt und unsere Wirkung verstärkt. Es war Zeit, das Thema anzugehen.
Keine 5-Jahres-Pläne, bitte!
Klar war von Anfang an: Als agiles, umsetzungsstarkes Referat brauchen wir keinen klassischen 5-Jahres-Plan. Das passte nicht zu uns. Da kam mir eine Idee: Mit einer Adaptiven Strategie könnten wir das Thema organisch und entlang unserer Bedürfnisse angehen. Ich absolvierte das Webinar bei The Dark Horse, las mich ins Future Organization Playbook ein und schon bald fühlte ich mich bereit, das Strategie-Hexagon bei uns einzuführen.
Ein kleines Kernteam aus fünf Personen (inklusive unserer Referatsleitung) startete mutig in die Reise. Der Rest des Teams – sieben weitere Kolleg*innen – hielt sich erstmal zurück. Manche hatten klar gesagt: „Strategie? Das ist mir zu viel.“ Fair enough. Wir wollten niemanden überfordern und entschieden uns für eine schrittweise Integration.
Workshop #1: Face Reality – eine Bestandsaufnahme
Erkenntnis tut weh. Im ersten Workshop hatten wir das Hexagon mit dem Fokus auf dem IST-Stand ausgefüllt und dabei gemerkt: Da fehlt der rote Faden. Alles fühlte sich ein bisschen zusammengewürfelt an. Aber hey, der erste Schritt zur Besserung ist das Eingeständnis, dass es Optimierungspotenzial gibt, oder?
Workshop #2: Zielbild – Welchen Beitrag leisten wir für wen?
Im nächsten Schritt machten wir uns an die Definition der Mission und analysierten unsere Zielgruppen. Wir haben gebrainstormed, verdichtet und uns am Ende auf drei Zielgruppen konzentriert. Ein großer Erfolg, denn plötzlich hatten wir Klarheit, für wen wir eigentlich da sind.
Dann ging’s ans Eingemachte: Was bieten wir diesen Zielgruppen eigentlich? Und welche Pain Points lösen wir? Mit dem Value Proposition Canvas haben wir uns das im Detail angeschaut und dabei endlich verstanden, wer wir sind und was wir wirklich tun – oder tun sollten (siehe Abbildung 1).

Fake it till you make it: Die Fake-Website
Das Hexagon füllte sich also langsam. Weil wir in jedem Feld in die Tiefe gingen und weitere Methoden anschlossen, wurde es mit der Zeit aber auch etwas chaotisch. Also habe ich die vorhandenen Inhalte kurzerhand in einer Fake-Website zusammengefasst (siehe Abbildung 2). Was würde auf unserer Homepage stehen, wenn wir alles so umsetzen würden? Diese Verdichtung war Gold wert – sowohl für uns als Team als auch für die spätere Kommunikation.

Workshops #3 & 4: Zielbild – Was brauchen wir nach innen?
Jetzt wurde es spannend: Welche Kompetenzen und Strukturen brauchen wir eigentlich, um unser Wertversprechen zu erfüllen? Und wie gut sind wir darin schon aufgestellt? Bislang waren Kompetenzen eher individuell verteilt – jede*r kämpfte für sich. Das war ein Weckruf.
Eine Erkenntnis war, dass wir stärker zusammenarbeiten und Wissen gezielt transferieren müssen. Unser erster Versuch, das in einer Excel-Tabelle zu erfassen, war… suboptimal. Excel-Müdigkeit lässt grüßen. Am Ende war aber klar: Wir brauchen kluge Partnerschaften und einen klaren Plan, wie wir unsere Kompetenzen gezielt ausbauen.
Mini-Workshop 5: Alle ins Boot holen
Bevor wir unsere Arbeit außerhalb des Referats präsentierten, ließen wir das gesamte Team selbst ins Hexagon eintauchen. Frische Perspektiven sind immer gut! Das Feedback: Unser Prototyp passte schon ganz gut, hier und da mussten wir noch etwas Feinschliff betreiben.
Wertearbeit: Das Herzstück
Falls ihr euch gefragt habt, warum das Hexagonfeld „Kultur“ bisher noch nicht aufgetaucht ist – wir haben uns das Beste für den Schluss aufgehoben. Dieses Feld wollten wir nämlich mit der Aufmerksamkeit behandeln, die es verdient. Und weil es um unser Herzstück geht, war klar: Das machen wir nicht nur im Strategieteam. Am Teamtag haben wir alle Kolleg*innen des Referats gemeinsam an unseren individuellen und gemeinsamen Werten gearbeitet. Petra Ringmann, unsere Referatsleitung, hat diesen Part moderiert und dabei einen Raum geschaffen, in dem sowohl Übereinstimmung als auch gegensätzliche Perspektiven Platz hatten.
Das war intensiv. Tiefgehend. Emotional. Und ja, manchmal auch kontrovers. Aber genau das hat diesen Prozess so wertvoll gemacht. Am Ende haben wir eine Grundlage geschaffen, die uns Orientierung gibt und wie ein unsichtbares Grid zusammenhält – auch wenn nicht alle Werte gleichermaßen Priorität für jede*n haben. Der Wert „Nutzerzentrierung“ schaffte es auf Platz 1. Dies ist mein persönliches Highlight, da mir die Nutzerzentrierung in der öffentlichen Verwaltung sehr am Herzen liegt.

Ein Blick von außen: Dezernentin füllt das Hexagon aus
Parallel zu unserem Prozess füllte unsere Dezernentin das Hexagon unabhängig von uns aus. Die Idee: eine unvoreingenommene Außensicht zu bekommen, die uns hilft, ihre Wahrnehmung und Erwartungen an uns zu verstehen. Nachdem unser Prototyp fertig war, verglichen wir die beiden Hexagone. Das war eine spannende Erkenntnisreise! Die Ergebnisse unterschieden sich, waren aber nicht unvereinbar. Mit ein paar Anpassungen am Hexagon und unserer Fake-Website fühlte sich alles plötzlich rund an.
Die Learnings aus dem Prozess
Abgeschlossen wurde unsere Strategiearbeit mit einer kleinen Reflektion zum Strategieprozess. Unsere zentralen Reflektionsergebnisse dabei sind:
- Strategiearbeit geht tiefer: Es geht nicht nur um Vision, Mission und Ziele. Manchmal gräbt man dabei auch im Inneren – Stichwort: Teamkultur.
- Nicht immer leicht, aber lohnend: Der Prozess war nicht immer angenehm – es wurde diskutiert, hinterfragt, auch mal unbequem. Aber am Ende waren alle froh, dass wir uns endlich dem Thema Strategie gewidmet haben.
- Endlich auf den Punkt: Dank des Hexagons und der neuen Klarheit durch die Strategiearbeit können wir jetzt auf einfache Weise erklären, was wir als Referat strategisch machen – sichtbar und greifbar, sowohl für uns selbst als auch für andere.
- Kürzer, knackiger, besser: Ein kompakterer Prozess mit intensiven Workshoptagen wäre effektiver gewesen, statt immer wieder über Monate einzutauchen und dann den Faden zu suchen.
- Top 3 statt XXL: Statt uns in zig Zielgruppen zu verzetteln, ist ein Fokus auf die wichtigsten drei Zielgruppen eine super Entscheidung gewesen.
- Fokus tut gut: Das Hexagon mit all den Klebenotizen ist super für den internen Austausch, aber für die Außenkommunikation – uff, das war dann doch too much. Eine klare, reduzierte Form wie eine Fake-Website könnte hier Gold wert sein.
- Kompetenzlücken im Team? Klar erkannt! Aber das Gute daran: Jetzt können wir gezielt nachqualifizieren oder Lerntandems bilden.
Am Ende war der Prozess nicht nur eine Strategiearbeit, sondern ein echter Gamechanger für unser Team. Jetzt fühlen wir uns weniger wie die Feuerwehr und mehr wie die Navigatoren, die wir eigentlich sein wollen.
Ready for 2025!
Nach einem Sommer voller intensiver Strategiearbeit stand im Herbst unser Strategie-Prototyp. Für 2025 fühlen wir uns nun gut gewappnet! Natürlich fehlen noch strategische Optionen und klare Rollen, wie beispielsweise eine*n „Strategie-Routinen-Wächter*in“. Aber mit unserem kreativen Team ist das jetzt ein Kinderspiel. Ideen haben wir genug und das Hexagon hilft uns bewusst und überzeugt, Entscheidungen bezüglich neuer Projekte zu treffen.
Wir sind stolz auf den Weg, den wir gegangen sind – und auch auf unser durchdachtes Hexagon!
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Im zweiten Teil dieser Miniserie beschäftigt sich Nadja Bauer damit, wie Strategiearbeit im öffentlichen Sektor in regelmäßige Routinen überführt werden und wie der Jahresauftakt als eine Initialzündung dienen kann.
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