Warum tun sich viele Unternehmen mit der Transformation so schwer, liebes Dark Horse?

tl;dr Für viele Unternehmen ist die Transformation ein schwieriger Prozess, der oft scheitert. Die Fähigkeit, sich neu zu erfinden, wird jedoch immer wichtiger, nicht nur um als Organisation weiterhin erfolgreich zu sein, sondern auch für unseren gesellschaftlichen Kampf gegen die Klimakatastrophe. 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gastbeitrag in der Mannheimer Morgenpost. Geschrieben von Christian Beinke und Fried. Große-Dunker.

Das Problem: Wer Effizienz sät, wird keine Transformationsfähigkeit ernten

Fangen wir für die Klärung dieser Frage mal ganz am Anfang an: Wozu braucht es eigentlich Organisationen? Wer einmal versucht hat, einen Kindergeburtstag vorzubereiten, hat einen Eindruck, wie schwierig es ist, das Verhalten von vielen unterschiedlichen Personen zu koordinieren und zu organisieren. Diese Herausforderung nehmen wir einmal im Jahr vielleicht noch locker an. Schwierig bis unmöglich wird das Ganze dann, wenn der Kindergeburtstag jeden Tag neu organisiert werden muss. Doch für genau solche Fälle gibt es Organisationen. Sie koordinieren Verhalten so, dass es einigermaßen zuverlässig wiederholt wird und der Kindergeburtstag jeden Tag stattfinden kann, sozusagen als Kindergeburtstag GmbH. 

Organisationen sparen also Zeit und Aufwand, wenn es darum geht, koordiniertes Verhalten zuverlässig zu reproduzieren. Organisationen säen Effizienz. Sich neu erfinden – also innovativ sein – kann die Kindergeburtstags GmbH dann nur noch innerhalb der selbst vorgegebenen Grenzen. Innovation heißt dann Schokotorte statt Erdbeerkuchen und statt Topfschlagen gibt es die Pokemon-Jagd. Kommen dann aber Kindergeburtstage aus der Mode oder werden diese konsequent nur noch bei McDonalds gefeiert, dann hat die Organisation ein Problem. Denn sich selbst und sein Angebot neu zu erfinden und die grundsätzlichen Funktionen und aufgebauten Prozesse neu denken zu müssen, dafür fehlt ihr die Fähigkeit. Wenn sich die Kindergeburtstags-GmbH neu erfinden muss, müssen alte Errungenschaften weichen. Die Maschine kommt ins Stottern. Indem sie effizienter werden, trainieren Unternehmen sich also ganz systematisch die Fähigkeit ab, sich gut wandeln zu können.

VUCA kills the machine

Die Metapher von der gut geölten Maschine als Idealzustand für die Organisation ist nach wie vor das dominierende Bild. Das ist auch nachvollziehbar und auch nach wie vor eine gute Idee, sofern sich die Umwelt nicht allzu stark ändert. Also wenn wir nur von Erdbeertorte zu Schokokuchen wechseln müssen. Nur: unsere Umwelt ändert sich immer stärker und immer schneller! In unserem neuesten Buch “Future Organization Playbook” versuchen wir uns an dem Gegenentwurf, den “Future Organizations”: also Organisationen, die die Fähigkeit haben, sich ständig neu zu erfinden, immer die Chancen in veränderten Umwelten nutzen können.  Veränderung ist dabei aber kein Selbstzweck oder nur auf das eigene Überleben als Unternehmen ausgerichtet. Organisationen sind der größte Verursacher von Emissionen und damit auch der größte Hebel, um eine nachhaltige Zukunft erreichen zu können. Mehr Future Organizations, das wäre doch toll. Für uns und unsere Enkelkinder.

Wie wird man also zu einer Future Organization?

Unserer Erfahrung nach beginnt das Problem schon bei der Metapher. Unternehmen suchen sich ein neues Ziel, eine neue Vision, um sich neu zu erfinden. Diese darin versteckte Reise-Metapher hat aber ein grundlegendes Probleme: in einer sich ständig verändernden Umwelt hilft es wenig, sich einmal neu zu erfinden und sich auf ein neues Reiseziel einzuschwören. Es bedarf vielmehr der Fähigkeit, sich ständig neu zu erfinden. 

Schmeißen wir die Reise-Metapher über Bord und versuchen das Neuerfinden aus einer anderen Richtung zu ergründen: wie würde sich z.B. eine Stadt neu erfinden? Städte und Organisationen haben viel gemeinsam: sie sind soziale Netzwerke, sie organisieren das Tun und Handeln vieler Menschen. Sie haben aber einen entscheidenden Unterschied: Erfolgreiche Städte gibt es schon seit Jahrhunderten, Organisationen haben eine deutlich geringere Halbwertszeit. Was machen Städte also anders?

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Städte sind nicht auf Effizienz getrimmt. Wie absurd wäre es, wenn eine Bürgermeisterin erkennt, dass momentan die Sauerteig-Pizzaläden richtig brummen und infolgedessen an jeder Ecke einen Pizzaladen eröffnen lässt? Wie absurd ist ebenso die Vorstellung, dass eben jene Bürgermeisterin auf dem Reißbrett einen neuen Stadtentwurf vorlegt und mit strengem Regime alle Gebäude abreißen und neu bauen lässt. 

Nein, Stadtplaner*innen machen es anders: sie suchen eine gute Balance aus zentraler Steuerung und dezentralen Räumen für lokale Veränderung. “Lebhafte Städte” zeichnen sich dadurch aus, dass es unterschiedliche Viertel gibt, die einzigartig gestaltet wurden und gleichzeitig von zentral organisierten Effekten (z.B. Sicherheit, Verkehrsinfrastruktur, etc.) profitieren. Eine Stadt, in der es zu wenig zentrale Steuerung gibt, verfällt zum Slum. Eine Stadt, die nicht in sich investiert, verliert an Lebensqualität, wirtschaftlicher Dynamik und letztendlich auch die Bewohner. Eine Stadt, die sich zu sehr auf einzelne Wirtschaftszweige verlässt, ist nicht resilient und hat im Wandel Probleme wie die alten Kohle-Zentren. Die Stadt-Metapher vereint eine ganz wichtige Eigenschaft von adaptionsfähigen Organisationen. Zentrale Steuerung, um Potenziale schnell und kraftvoll zu nutzen, und gleichzeitig Dezentralität, um Impulse zu verarbeiten, zu setzen und resilient zu sein.

Future Organizations brauchen, ähnlich wie Städte, aus unserer Sicht daher drei Meta-Fähigkeiten, um sich ständig neu erfinden zu können: Innovationsfähigkeit, Wandlungsfähigkeit und eine adaptive Strategie-Entwicklung, die die beiden ersteren Fähigkeiten erfolgreich verknüpft.

Fähigkeit 1: Innovationsfähigkeit

Etwas offensichtlich: wer sich neu erfinden muss, braucht Erfinder*innen. Lebendige Städte leben u.a. Von “den Kreativen”, von Künstlern und Unternehmer*innen, die ständig neue Dinge ausprobieren. “Die Kreativen” haben es in effizienzgetriebenen Organisationen allerdings schwer. In Städten kann jeder ausprobieren, ob der Sauerteig-Pizzaladen an der Ecke funktioniert (sofern ein paar Hygiene- und Steuerrichtlinien eingehalten werden). In Städten muss man nicht bei der Bürgermeisterin um Erlaubnis bitten, um Budget betteln. Das organisiert man sich selbst. Nicht umsonst schreibt der große Vordenker für Strategie, Gary Hamel, schon 2014: “Bureaucracy must die”. Die Bürokratie, der Ursprung aller Effizienz und Skaleneffekte, lässt wenig Raum für Innovationsfähigkeit.

Fähigkeit 2: Wandlungsfähigkeit / Veränderungsfähigkeit

Fast offensichtlich: Eine Erfinderin kann noch so tolle Ideen haben, ein unternehmerischer Gastronom kann noch so tolle Sauerteig-Pizzen backen, wenn keiner diese Pizza probieren möchte. Wir brauchen neben “den Kreativen” also auch “die Neugierigen”, die Lust am Neuen haben, gerne mal was ausprobieren und Spaß am Wandel haben. Hier zahlt sich in Städten häufig die Diversität ihrer „Belegschaft“ aus: unter allen Stadtbewohnern gibt es genug, die den Pizzaladen ausprobieren und ihren Freunden von der leckeren Pizzeria auf der Ecke erzählen. In effizenzgetriebenen Organisationen ist Mitmachen und über den Tellerrand schauen der Feind der individuellen Ziele.

Fähigkeit 3: Adaptive Strategie-Entwicklung

Für uns bedeutet die adaptive Strategie, die obigen Fähigkeiten in Einklang und Balance zu bringen. Brauchen wir mehr Kreative oder mehr Neugierige? Was muss zentral gesteuert werden (Stichwort Synergien und Skaleneffekte), was sollte lieber dezentral und selbstorganisiert entwickelt werden (Stichwort Nutzerwissen)? Strategie macht aus Einzelaktivitäten eine gemeinsames Handeln, aus einzelnen Nachbarschaften stolze Stadtbewohner*innen.

Wie wird man zur Future Organization?

Die Stadt-Metapher hat eine Botschaft: Sie verschiebt unseren Blick von den Ergebnissen auf die Fähigkeiten. Welche Fähigkeiten hat unsere Organisation und wie können wir sie systematisch verbessern? Wie entwickeln wir eine Struktur, die nicht nur einem singulären Zweck dient, sondern auch Wandel antizipieren kann? Wie entwickeln wir uns als Mitarbeitende, dass wir Veränderungen als positiv und nicht als Bedrohung erleben? Wandel in der Maschinen-Metapher entfernt überschüssige oder alt gewordene Teile. Wandel in der Stadt-Metapher findet neue Betätigungsfelder für die Stadtbewohner, und zwar ständig. Das neue Ziel ist nicht maximale Effizienz, sondern Effektivität hinsichtlich der Ziele, Nachhaltigkeit in allen Belangen und Lebensqualität für die “Bewohner” und Stakeholder.

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